Wenn du mich siehst - Hudson, T: Wenn du mich siehst - Hereafter
Gesicht wie ein Heiligenschein umfloss. Sie sah wie ein in Flammen stehender Engel aus. Ich versuchte sie zu berühren, aber natürlich ging das noch nicht. Ich war tot, und sie lebte noch.
Ein Teil meines Auftrags bestand darin zu lauschen, abzuwarten, bis ihr Herz aufhörte zu schlagen, und ihre Seele dann aus dem Fluss zu ziehen, damit ich sie in die Dunkelheit mitnehmen konnte. Doch in dem Moment, bevor sie fiel, erhaschte ich einen Blick auf ihre Augen. Sie waren grün und so strahlend wie deine. Sie sah mich direkt an, und ich hätte schwören können, dass sie mich sah, noch vor ihrem Tod. In dem Moment verfiel ich ihr. Augenblicklich und ganz und gar.«
Eli hielt kurz inne und betrachtete forschend mein Gesicht – wonach er suchte, war mir nicht klar. Dann starrte er wieder zu Boden, den abwesenden Blick des Erinnerns in den Augen.
» Ich musste sie haben. Ich musste einfach. Nachdem sie gestorben war, zog ich sie aus dem Fluss und flehte meine Gebieter an, sie mir als Gehilfin zu überlassen. Zu meiner Überraschung willigten sie ein.
Weil ich sie sofort nach ihrem Tod aufgeweckt hatte, hatte sie nie den Nebel erlebt, anders als du und ich. Sie behielt sämtliche Erinnerungen an ihr Leben und schien mehr als gewillt zu sein, sie mit mir zu teilen. Sie sagte mir, sie heiße Melissa und dass man das Jahr 1987 schreibe. Im Leben war Melissa in der Ausbildung gewesen und hatte an dem kleinen College in einer Seitenstraße vom Highway einen Kurs in Krankenpflege belegt. Und obwohl sie gewaltsam gestorben war, war sie dennoch … vergnügt. Manchmal sogar fröhlich.
Sie war alles, was ich mir von einer Gefährtin wünschte: gescheit, schön, feurig. Ich habe sie auf der Stelle geliebt.
Aber Melissa wurde, vielleicht aufgrund ihres Wesens, rasch unzufrieden mit unserem Dasein. Anders als dir hatte ich ihr nicht gerade eine detaillierte Beschreibung meiner Tätigkeiten geliefert. Dennoch dauerte es nicht lange, bis ihr klar wurde, worin mein Auftrag bestand, und sie ihren Widerwillen kundtat.
Ein paar Wochen lang versuchte sie mich zu überzeugen, meine Tätigkeit aufzugeben – von meiner Macht abzulassen und meine ganze Gefolgschaft freizulassen. Als sie sah, dass diese Herangehensweise nichts fruchtete, verschwand sie immer wieder tagelang, dematerialisierte sich und erschien irgendwann wieder, ohne ihr Treiben groß zu erläutern.
» Dann, eines Herbstmorgens, noch nicht einmal ein Jahr nach ihrem Tod, sah sie bei ihrer Rückkehr … anders aus. Ihre Haut leuchtete immer noch wie unsere, aber sie war heller, wärmer. Wie echtes Feuer …«
Elis Stimme verlor sich, und er starrte mit gerunzelter Stirn das Moos an, über das er geistesabwesend mit dem Fuß strich. Von seinen Füßen aufgewirbelt, stiegen kleine Eissplitter in die Luft. Ich wartete beinahe eine ganze Minute darauf, dass Eli fortfuhr, doch meine Ungeduld gewann schließlich die Oberhand über mein Einfühlungsvermögen.
» Was hat sie dir dann gesagt?«, drängte ich.
Er schüttelte den Kopf. » Sie hat mir gesagt, ich könne nicht bis in alle Ewigkeit Seelen in der Dunkelheit gefangen halten. Sie hat mir gesagt, indem ich sie in diese Welt zwänge, wo sie mir dienen sollten, würde ich ihnen gar nicht helfen. Ich sollte die frisch Verstorbenen herumirren lassen, denn erst nachdem sie aus dem Nebel erwacht seien, sollten sie wählen, welches Jenseits sie bewohnen wollten.«
»Welches Jenseits?«, hauchte ich. » Welche anderen Welten gibt es denn noch?«
Eli zuckte mit den Schultern, doch ich ließ mich durch seine aufgesetzte Lässigkeit nicht beirren. » Melissa behauptete, sie sei an einem … anderen … Ort gewesen. Einem besseren. Sie bat mich, sie zu begleiten, aber ich weigerte mich. Hier gibt es zu viel für mich. Ich bin zu wichtig. Hier wird mir gehorcht.«
Das stolze Glitzern kehrte in seine Augen zurück, die mit beinahe irrer Intensität leuchteten. An diesen Augen konnte ich ihm seine Gedanken vollständig ablesen: Eli war von diesem Ort besessen. Er würde alles tun, was seine Gebieter von ihm verlangten, jede Seele einfangen und herumkommandieren, um seine angebliche Macht zu behalten.
» Was geschah anschließend mit Melissa?«, fragte ich vorsichtig.
Eli schnaubte. » Sie ist ein letztes Mal verschwunden. Seitdem habe ich sie nicht mehr zu Gesicht bekommen – nicht, dass ich es überhaupt wollte.«
Bei den letzten Worten fletschte er die Zähne. Jetzt sah er wild aus, beinahe barbarisch. Doch um seinen Mund und
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