Wenn du mich siehst - Hudson, T: Wenn du mich siehst - Hereafter
herumgeirrt bin, bereit, dich auf mich zu stürzen. Und das alles, weil deine Gebieter dir gesagt haben, dass ich dir gehören könnte?«
» Amelia, ich …«
» Und ich wette, du hast nicht versucht, meinen Vater zu › retten‹, nicht wahr?« Ich unterbrach ihn mit einem Knurren. Mein Zorn wuchs immer weiter. » Ich wette, du hast ihn in diesen Wald geworfen, mit all deinen anderen Opfern.«
Eli wagte es, verwirrt dreinzublicken. » Deinen Vater?«
» Verschone mich.« Ich lachte. » Du kannst nicht länger so tun, als seist du unschuldig. Und es ist mir völlig gleich, welche grandiosen Pläne du für unsere Zukunft gehabt haben magst. Oh, Verzeihung – meine Zukunft. Was für Pläne du auch immer haben magst, sie haben nicht das Geringste mit meiner Zukunft zu tun.«
» Unserer Zukunft«, knurrte er. Seine Stimme war jetzt bar jeglicher Zärtlichkeit.
» Nein. Meiner Zukunft.«
Jetzt war es an Eli aufzuspringen.
» Du gehörst mir!«, rief er mir ins Gesicht. Seine Hand zitterte heftig, als er sie nach mir ausstreckte, doch ich wich rasch zwei Schritte zurück.
Ich schenkte ihm noch nicht einmal einen letzten Blick, sondern wirbelte auf meiner nackten Ferse herum und rannte in den Wald. Ich hatte keine Ahnung, wohin mich meine Füße trugen, und es war mir auch ganz egal. Wichtig war mir nur, dass meine Füße mit einer Geschwindigkeit über das vereiste purpurfarbene Moos liefen, die sie noch nie an den Tag gelegt hatten.
Unglücklicherweise schien sich die unheilvolle Landschaft um mich her nie zu verändern, ganz egal, wie schnell oder wie weit ich weglief. Es hatte den Anschein, als würde ich ständig an denselben entstellten Büschen, denselben glitzernden Bäumen vorbeirennen.
Im Laufen sah ich auch andere Dinge: dunkle Gestalten, die zwischen den Stämmen und Ästen hindurchhuschten wie wilde Tiere, die meiner Spur folgten. Vielleicht war ich so verängstigt, dass ich schon Halluzinationen hatte, doch ich hätte schwören können, dass die Gestalten Gesichter hatten. Menschliche Gesichter, die mir zusahen, wie ich durch den Wald lief, aber keine Anstalten machten, mich aufzuhalten.
Waren dies die verlorenen Seelen, die den rechten Augenblick abpassten, bis Eli ihnen den Befehl zum Angriff gab? Befand sich mein Vater unter ihnen und sah mir ebenfalls zu? Ein Teil von mir wollte stehen bleiben und nach ihm suchen, doch ein anderer Teil hielt meine Beine in Bewegung und trieb mich angsterfüllt vorwärts.
Dann, kurz bevor ich vollends in Panik verfiel, schimmerte das Grau allmählich und verflüchtigte sich. Wie eine gewaltige Landschaftskulisse im Theater verschwand die Unterwelt, bis ich keuchend inmitten des sonnendurchfluteten Walds der Welt der Lebenden stehen blieb.
Etwas in ungefähr hundert Metern Entfernung sprang mir ins Auge. Ich blinzelte und stellte fest, dass es sich um den Fluss handelte, der hell in der späten Nachmittagssonne glitzerte.
Ich lief wieder los und bewegte mich, als hinge mein ganzes Dasein von meinem Tempo ab. Als ich die Böschung der Rampe erklommen hatte und auf den Asphalt der High Bridge Road trat, hielt ich gerade einmal lange genug inne, um ein Gebet zum Himmel zu schicken.
» Bitte, Gott«, flehte ich laut. » Wenn du auch nur das Geringste für mich übrig hast, bitte, bitte, zeig mir den Weg zum Haus der Mayhews. Ich könnte die Hilfe wirklich gebrauchen.«
Zum Amen nickte ich einmal und rannte dann die Straße entlang.
Mein Orientierungssinn würde noch einmal mein Tod sein. Jedenfalls metaphorisch gesprochen.
Bis Sonnenuntergang war ich unzählige Male falsch abgebogen, und meine Zuversicht schwand mit jedem Zentimeter, den die Sonne hinter den Horizont abtauchte, ein Stückchen weiter.
Endlich, am Ende der ungefähr hundertsten Straße, erblickte ich die vordere Veranda eines unverkennbaren Hauses. Ich stürzte die Auffahrt entlang auf den Garten hinter dem Haus zu, meine Füße flogen über den Kies. Doch als ich den Kies hinter mir ließ und die Wiese erreichte, sah ich, dass der Garten der Mayhews leer und dunkel war. Die Laternen brannten jetzt nicht und sahen allesamt in der Nacht grau aus. Kein Licht drang aus den Fenstern an der Rückseite des Hauses, und Joshua wartete auch nicht auf der dunklen Veranda auf mich. Erschöpft und niedergeschlagen sackte ich gegen den Stamm einer Pappel.
» Amelia?«
Die gedämpfte Stimme kam von weiter hinten im Garten, ein gutes Stück von der Veranda entfernt.
» Joshua?«, flüsterte ich. Ein
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