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Wenn du mich siehst - Hudson, T: Wenn du mich siehst - Hereafter

Wenn du mich siehst - Hudson, T: Wenn du mich siehst - Hereafter

Titel: Wenn du mich siehst - Hudson, T: Wenn du mich siehst - Hereafter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tara Hudson
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widerwärtige Stück Rasen anstarren zu müssen.
    Unglücklicherweise wurde mir zu spät klar, dass ich mich nicht hätte abwenden sollen. Denn als ich es tat, geriet ein anderer Grabstein in mein Blickfeld: derjenige gleich neben meinem.
    Die frühmorgendliche Sonne hatte jetzt hinter dem benachbarten Grabstein den Horizont erklommen und sandte ihre weichen rosafarbenen Strahlen aus. Die Strahlen waren fast stark genug, um den Grabstein in Schatten zu tauchen und die Buchstaben zu verdunkeln. Fast, aber nicht ganz.
    Von dem hohen Stein, bloß ein wenig kunstvoller als meiner, starrten mich die folgenden Buchstaben wütend an:
    Todd Allen Ashley
    5. Juni 1960 – 29. März 2006
    We’ll meet again
    Die Luft entwich aus meiner Lunge. Während ich dort saß und nach Atem rang – die Hände auf den Boden gestützt, die Augen unverwandt auf die Grabinschrift meines Vaters gerichtet –, hallte die leise Melodie eines Songs in meinen Ohren wider. Ich schloss die Augen und stellte mir die Szene vor, die stets dazuzugehören schien.
    Mein Vater und meine Mutter, an einem ihrer glücklicheren Tage. Einem jener Tage, an denen ihnen Geldsorgen oder ein möglicher Stellenverlust weniger zu schaffen machten und sie sich beide an die Gegenwart des anderen erinnerten. An diesen Tagen kam mein Vater immer in unsere winzige Küche gestürzt und umarmte meine Mutter leidenschaftlich. Dann war es egal, ob sie voller Mehl vom Backen oder voller Abwaschschaum war. Sie schlang die Arme um seinen Hals und legte den Kopf an seine Schulter, während er ihr schmachtend ein altes Lied vorsang, eines, das versprach, dass sie sich wiedersehen würden, eines Tages, an einem anderen Ort. We’ll meet again.
    Das Lied war so laut in meinem Kopf, dass ich gar nicht hörte, wie Eli hinter mich trat.
    » Du musst nicht mehr traurig über deinen Tod sein, Amelia.« Elis Stimme brach den Song genau an dessen Crescendo ab. » Ich bin hier, um ihn mit dir zu teilen«, fügte er hinzu und legte mir eine Hand auf die Schulter.
    Ich stieß Elis Hand fort, vielleicht unnötig gewaltsam. » Ich bin nicht traurig über meinen Tod, Eli. Ich bin traurig über seinen.« Ich deutete auf das Grab meines Vaters, den Finger anklagend ausgestreckt, als wolle ich das Grab selbst für mein Elend verantwortlich machen.
    » Oh. Und wer ist das?«
    » Mein Vater«, flüsterte ich.
    » Dieser Stein?« Eli beugte sich über mich, um die Inschrift zu lesen. » Todd Ashley? Das ist dein Vater?«
    » J-ja.«
    Meine Stimme brach, als ich es aussprach. Ich presste mir eine Hand auf die Lippen, um zu versuchen, den reißenden Strom zurückzuhalten, doch es war zu spät. Gewaltige Schluchzer entrangen sich mir, begleitet von einer Tränenflut.
    Da sank ich am Fuß des Grabes meines Vaters nieder. Ich ließ die Hände auf dem Gras und legte den Kopf darauf. Die Tränen fielen von meinem Gesicht, auf meine Hände und dann auf den Boden.
    » Du … weinst ja«, hauchte Eli verblüfft.
    » Ja«, stöhnte ich, gab dann aber ein seltsames kleines Lachen von mir. Ich setzte mich wieder auf und wischte mir erfolglos über Wangen und Kinn. » Das mache ich wohl ab und an.«
    Eli packte mich an der Taille, und bevor ich wusste, wie mir geschah, zog er mich auf die Beine und wirbelte mich zu sich herum.
    » Du wirst nie wieder weinen müssen. Nicht, solange du bei mir bist.«
    Seine Finger gruben sich in den Stoff meines Kleides. Mit einem gewaltigen Atemzug – vielleicht, um Mut zu schöpfen – riss er mich an sich und presste die Lippen auf meine.
    Sein Mund dämpfte meinen Protestschrei. Ich stemmte mich heftig gegen seine Brust, doch meine Gegenwehr führte nur dazu, dass er mich noch fester an sich zog.
    Während der Dauer des Kusses stieß ich noch einen Schrei aus, doch nicht zum Zeichen meines Protests. Diesmal geschah es aus Angst.
    Denn während Eli den Mund auf meinen gedrückt hielt, spürte ich dort einen stechenden Schmerz, als habe etwas die zarte Haut meiner Unterlippe aufgerissen. Fast wurde mir schwarz vor Augen.
    Sobald Eli den Griff lockerte, um seine Hand an meine Wange zu legen, kam ich endlich los. Als ich mich aus seinen Armen stieß, musste ich etliche Schritte auf mein eigenes Grab zurückweichen. Selbst ohne den Druck von Elis Mund auf meinem war da immer noch ein heftiger, rhythmisch pochender Schmerz an meiner Unterlippe. Meine Zunge fuhr zu der wunden Stelle an meiner Lippe, und unerklärlicherweise schmeckte ich Blut.
    » Was hast du gerade eben mit mir

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