Wenn du mir vertraust: Roman (German Edition)
Vögel beobachtet und gestrickt.
»Ich muss los, in die Bibliothek«, sagte Mickey.
»Moment …« Jenna ergriff ihren Arm. »Warte doch mal.«
»Wie war die Pressekonferenz?« Mickeys Stimme zitterte.
»Ganz okay.«
»Es hat dir sicher Spaß gemacht, im Fernsehen zu sein und all das.«
Jenna schüttelte den Kopf. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie sah Mickey an, als wollte sie ihr gleich um den Hals fallen, aber Angst davor hatte, zurückgestoßen zu werden.
»Es hat überhaupt keinen Spaß gemacht ohne dich. Ich habe am Strand nach dir Ausschau gehalten und musste ständig daran denken, dass du nicht dabei bist. Ich habe immer wieder vor mir gesehen, wie du in der Nacht ins Wasser geworfen wurdest. Schrecklich.«
»Ja.«
»Josh – das hätte er nicht tun dürfen.«
»Nein.« Mickey zitterte, weil Jenna wieder wie ihre beste Freundin klang.
»Ich verstehe nur nicht … Warum machst du solchen Stress?« Jenna umklammerte Mickeys Arm.
»Stress?«
»Ich weiß, dass du wegen der Eule und allem anderen sauer bist – aber da steckt mehr dahinter. Zugegeben, Josh ist ausgerastet – das weiß er auch, und er ist nicht besonders stolz darauf. Er möchte sich bei dir entschuldigen, wenn du ihm die Chance gibst. Aber Mickey – es ist so offensichtlich, dass du gegen Joshs Vater und dessen Pläne bist.«
Mickey schloss die Augen. Sie sah wieder das tosende Wasser vor sich, das sie umschloss, die totenbleichen Gesichter der deutschen U-Boot-Besatzung, die aus dem Wrack aufstiegen.
»Du bist doch dagegen, oder?«
»Natürlich. Was denn sonst, Jenna!«
»Es ist eine gute Sache – für uns alle! Wieso siehst du das nicht ein?«
Mickey presste die Bücher, die sie mit ihrer gesunden Hand hielt, enger an sich. Sie starrte ihre Freundin an, die wie ein Automat klang. Wann hatte Jenna aufgehört, eigenständig zu denken, der Mensch zu sein, der sie wirklich war?
»Du hast dich nicht danach erkundigt, wie es der Eule geht«, sagte sie.
»Wird sie wieder gesund?«
»Ich weiß nicht. Wir haben sie in eine Auffangstation für Greifvögel gebracht, nicht weit entfernt von der Universität in Kingston. Der Mann, der die verletzten Vögel betreut, ist toll. Er hat die Tiere in einer Scheune untergebracht, mit lauter Flugkäfigen. Das hätte dir gefallen, Jenna …« Oder zumindest der früheren Jenna, dachte Mickey.
Sie erinnerte sich, wie sie ein Rotkehlchennest im Wald hinter Mickeys Haus entdeckt hatten, als sie beide noch klein waren – es war kaum größer gewesen als eine Teetasse, bestand aus kunstvoll miteinander verwobenen duftenden Kiefernnadeln und Wiesengras. Sie waren auf einen Baum in der Nähe geklettert, um sich das Nest von oben anzuschauen und hatten drei perfekt geformte blaue Eier darin gesehen. Drei Tage später hatten sie ein Piepsen gehört, waren wieder auf den Baum gestiegen und hatten drei winzige Vogeljunge entdeckt.
Kurz darauf hatten sie das Nest auf dem Boden vorgefunden, und die Jungen waren verschwunden. Sie waren einem Raubtier zum Opfer gefallen; sie hatten eng umschlungen dagestanden, entsetzt und ungläubig. Mickey sah, dass Jenna mit sich rang; die früheren Gemeinsamkeiten waren offenbar noch wichtig, doch sie schob sie beiseite. Alles zwischen ihnen hatte sich verändert.
»Komm doch mit nach Washington.« Jenna griff nach Mickeys gesunder Hand, so dass ihr um ein Haar die Bücher heruntergefallen wären.
»Ich kann nicht.«
»Das ist unsere Klassenfahrt. Wir übernachten im Hotel – das wird eine Riesenparty.«
»Und? Es gibt Dinge, die wichtiger sind.«
»Was denn? Die Eule? Das blöde U-Boot? Mickey, komm mit, bitte – du wirst die Kirschblüte sehen, das Smithsonian – und jede Menge Vögel. Die ersten Zugvögel, die zurückkehren.«
»Du interessierst dich noch für Zugvögel?« Mickey spürte, dass ihr die alte Jenna immer noch viel bedeutete.
»Keine Ahnung. Ich denke schon. Aber das Wichtigste ist, dass wir Spaß haben. Du musst unbedingt hier raus – jede Kleinigkeit geht dir an die Nieren … Und Mick, ich finde, dass es nicht gut für dich ist, dauernd mit Shane herumzuhängen.«
»Was?«
»Er passt nicht zu uns; er ist ein Außenseiter.«
Mickey starrte sie an, erinnerte sich an Shanes starke Arme, die sie umfingen und aus der Brandung zogen; an den Anblick seiner blutenden Kopfwunde, nachdem er sie gegen Josh verteidigt hatte.
»Er ist mein Freund.«
»Ich mag dich, Mick. Daran wird sich nichts ändern, das weißt du. Aber du
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