Wenn du mir vertraust: Roman (German Edition)
wenn das Wrack weg war?
»Du darfst die Hoffnung nicht aufgeben«, sagte sie.
Während er die Fotos seines Vaters betrachtete und hörte, wie seine Mutter in der Küche E-Mails schrieb, fragte er sich, wie es Mickey gelang, immer an das Beste zu glauben, das Gute zu erwarten.
»Was heißt das? Was gibt es da noch zu hoffen? Die Bergung ist längst beschlossene Sache.«
»Wir können kämpfen.«
»Wie denn?«
Mickey schwieg, aber er konnte beinahe hören, wie sie angestrengt nachdachte.
»Wir sollen uns mit einem reichen Wichtigtuer wie Cole Landry anlegen?«, fuhr er fort. »Schau dir Josh an – er wird nicht einmal zur Rechenschaft gezogen für das, was er dir angetan hat.«
»Und dir. Solche Leute glauben, dass ihnen die ganze Welt gehört und dass sie immer Recht bekommen, selbst wenn sie im Unrecht sind. Deshalb müssen wir ihnen das Handwerk legen.«
»Mickey!« Seine Stimme war zärtlich. Sie klang so zuversichtlich und ernst, so unverbesserlich optimistisch. Er wünschte, er könnte sie in die Arme nehmen und trösten, denn er wusste, wie enttäuscht sie sein würde.
»Ich muss immer wieder an Mr. O’Casey denken – was er wegen Frank empfinden mag. Zu wissen, dass man jemanden nie mehr wiedersehen wird …«
»Jemanden zu verlieren, ist das Schlimmste auf der Welt.«
»Ich weiß.«
»Weißt du, was seltsam ist?« Er dachte an den Tag in der Auffangstation zurück. »Die Vögel mit den gebrochenen Schwingen. Einige werden nie wieder fliegen, während andere in den Käfigen herumflattern als wären sie im Wald. Aber sie haben alle ein Zuhause, gehören dazu, haben ihren Platz gefunden.«
»Stimmt.«
»Wo ist unser Zuhause?«
»In South County, Rhode Island. Am Refuge Beach.«
»Ja. Meines schon.«
»Meines auch. Und ich bin froh, dass uns noch etwas verbindet …« Sie verstummte.
Aber Shane wusste auch so, was sie meinte: Sie teilten ein ähnliches Schicksal, denn sie hatten beide keinen Vater.
»Wir werden kämpfen!«, flüsterte sie.
»Aber wie?« Er wusste, dass er alles tun würde, was in seiner Macht stand, um ihr dabei zu helfen.
Sie antwortete nicht und er schloss die Augen, lauschte, wie die Fingerspitzen seiner Mutter über die Computertastatur tanzten. Er stellte sich Mickeys grüne Augen vor und erinnerte sich daran, wie er sie in den Armen gehalten hatte. Vielleicht war ein Zuhause kein Ort auf der Landkarte, sondern überall dort, wo Menschen einem das Gefühl der Zugehörigkeit gaben.
Menschen und Geister.
Und für sie lohnte es sich zu kämpfen.
Am nächsten Tag gab es in der Schule nur ein Thema: die Fernsehsendung. Viele Mitschüler hatten sich am Strand eingefunden, standen im Hintergrund, während Mr. Landry und Politiker aus Rhode Island und Massachusetts ihre große Ankündigung vom Stapel ließen: Der 17. April. Ein symbolträchtiges Datum: der Tag, an dem Amerika seinem Feind das Fürchten gelehrt hatte. Außerdem würde das Wetter mitspielen; Mitte April war die Gefahr vorüber, dass Winterstürme ihnen einen Strich durch die Rechnung machten, und Hurrikane stellten noch keine Bedrohung dar. U-823 würde den Standort wechseln und einer neuen Bestimmung zugeführt werden: umgewandelt in ein Museum, lehrreich, unterhaltsam und zugänglich für Millionen von Besuchern.
Als Mickey durch die Korridore ging, hörte sie die anderen darüber reden. Sie versuchte, die Ohren davor zu verschließen, sich auf die nächste Unterrichtsstunde zu konzentrieren, zu der sie unterwegs war, und hielt Ausschau nach Shane. Doch es ging zu wie in einem Bienenstock und sie spürte, wie die Spannung wuchs. Der 17. April war in greifbarer Nähe.
Nach dem Französischunterricht kam Jenna zielstrebig auf sie zu. Beim Anblick ihrer Freundin begann Mickeys Herz zu klopfen; seit dem Kindergarten waren sie unzertrennlich gewesen, doch in letzter Zeit hatte Mickey das Gefühl, dass Jenna ihr fremd wurde. Sie hatten sich das letzte Mal gesehen, als Tripp Mickey, Shane und die Eule zur Parkwächterstation gefahren hatte.
»Wie geht es dir?«
»Prima«, antwortete Mickey.
»Du siehst gut aus.« Jenna musterte Mickeys kurzen grünen Schottenrock und den marineblauen Pullover, die braunen Stiefel und grünen Strumpfhosen.
Mickey antwortete nicht. »Du siehst gut aus« – das war typisches Highschool-Geschwätz. So sollten Freundinnen nicht miteinander reden, besonders nach allem, was geschehen war. Sie waren miteinander aufgewachsen, hatten gemeinsam lesen und Rad fahren gelernt,
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