Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie
Izzy. Es wird regnen.« Â
»Gleich.« Sie legt sich neben mich und bettet ihren Kopf auf meine Schulter.
»Ist dir warm genug?«
»Ja.«
Als wir uns aneinandergekuschelt haben, ist es eigentlich gar nicht so kalt und ich mache meine Jacke am Hals ein bisschen weiter auf. Izzy stützt sich auf einen Ellbogen, streckt die andere Hand aus und zupft an meinem goldenen Vogelkettchen.
»Wieso hat Oma mir nichts geschenkt?«, fragt sie. Das ist ein altes Spielchen.
»Weil du noch gar nicht geboren warst, Spatzenhirn.«
Izzy zupft weiter. »Es ist hübsch.«
»Es ist meins.«
»War Oma nett?« Das ist auch Teil des Spiels.
»Ja, sie war nett.« Eigentlich kann ich mich gar nicht mehr so richtig an sie erinnern â sie ist gestorben, als ich sieben war â, bis auf die Bewegung ihrer Hände in meinem Haar, wenn sie es bürstete, und dass sie immer Musicalmelodien sang, egal, was sie gerade tat. AuÃerdem backte sie riesige Orangen-Schokoladen-Muffins und meine waren immer die gröÃten. »Du hättest sie gemocht.«
Izzy bläst Luft zwischen den Lippen hervor. »Ich wünschte, niemand müsste sterben«, sagt sie.
Mir schnürt sich die Kehle zu, aber es gelingt mir zu lächeln. Zwei gegensätzliche Wünsche durchzucken mich gleichzeitig, beide so scharf wie eine Rasierklinge: Ich möchte dich aufwachsen sehen und Bleib, wie du bist. Ich lege ihr die Hand auf den Kopf. »Dann würde es aber ganz schön voll hier«, sage ich.
»Ich würde ins Meer ziehen«, sagt Izzy nüchtern.
»Früher habe ich den ganzen Sommer über so hier gelegen«, erkläre ich. »Ich bin hergekommen und habe einfach nur in den Himmel gestarrt.«
Sie dreht sich zurück auf den Rücken, um auch in den Himmel zu gucken. »Diese Aussicht hat sich bestimmt nicht groÃartig verändert, was?«
Was sie sagt, ist so einfach, dass ich beinahe lachen muss. Aber sie hat natürlich Recht. »Nein. Das sieht noch genauso aus.«
Wahrscheinlich ist das das Geheimnis, wenn man sich wünscht, die Dinge wären wieder so wie früher. Man muss einfach nach oben sehen.
DURCH DIE DUNKELHEIT
Als ich nach Hause komme, gucke ich auf mein Handy: drei neue Nachrichten. Lindsay, Elody und Ally haben mir alle drei genau dieselbe SMS geschickt: val.tag hdl . Wahrscheinlich waren sie gerade zusammen, als sie mir das gesimst haben. Das machen wir manchmal, genau dieselbe Nachricht tippen und genau gleichzeitig abschicken. Es ist dämlich, aber es bringt mich zum Lächeln. Aber ich antworte nicht. Heute Morgen habe ich Lindsay geschrieben, um ihr zu sagen, dass sie ohne mich zur Schule fahren soll, aber obwohl wir heute nicht zerstritten sind, kam es mir komisch vor, unser übliches »:-x« ans Ende zu setzen. Irgendwo â in irgendeiner anderen Zeit oder an einem anderen Ort oder in einem anderen Leben oder so â bin ich immer noch wütend auf sie und sie auf mich.
Ich bin überrascht, wie einfach sich Dinge ändern können, wie einfach es ist, denselben Weg zu gehen wie immer und irgendwo anders rauszukommen. Nur ein falscher Schritt, eine Pause, ein Umweg und du hast plötzlich andere Freundinnen oder einen schlechten Ruf oder einen Freund oder eine Trennung. Das ist mir vorher nie aufgefallen; ich habe es nie erkannt. Und ich habe das eigenartige Gefühl, dass all diese verschiedenen Möglichkeiten vielleicht sogar parallel existieren, als hätte jeder Augenblick unseres Lebens tausend andere Augenblicke neben sich, die anders aussehen.
Vielleicht sind Lindsay und ich beste Freundinnen und hassen uns gleichzeitig. Vielleicht bin ich nur eine Mathestunde davon entfernt, so ein Flittchen zu sein wie Katie Carjullo. Vielleicht bin ich tief in mir drin so wie sie. Vielleicht sind wir alle nur eine Mittagspause davon entfernt, allein auf dem Klo zu essen. Ich frage mich, ob es überhaupt möglich ist, die Wahrheit über jemanden zu kennen, oder ob das Beste,was wir tun können, ist, mit gesenkten Köpfen aufeinander zu zu stolpern und darauf zu hoffen, nicht zusammenzustoÃen. Ich muss an Lindsay bei Rosalitaâs auf dem Klo denken und frage mich, wie viele Leute Geheimnisse umklammern wie kleine Fäuste, wie Steine in der Magengrube. Alle vielleicht.
Die vierte SMS ist von Rob und lautet: bist du krank? Ich lösche sie und schalte dann mein Telefon aus.
Izzy und
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