Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie
einen Satz, als ich einen silbernen Saab ordentlich in einer Auffahrt parken sehe. Auf dem Nummernschild steht: MOM OF4. Das ist Ms Sachsâ Auto. Ich muss ganz in der Nähe sein.
Das nächste Haus ist die Nummer neunundfünfzig. In einem Beet, das zu dieser Jahreszeit nichts weiter ist als ein langes Stück aus schwarzer Erde, steht ein Metallbriefkasten in Form eines Hahns. Auf dem Flügel des Hahns steht SYKES â in so kleinen Buchstaben, dass man genau hingucken muss, um es lesen zu können.
Ich kann es nicht so richtig erklären, aber ich habe das Gefühl, dass ich das Haus so oder so erkannt hätte. Es ist nicht so, als würde irgendwas damit nicht stimmen â es sieht auch nicht anders aus als andere Häuser, es ist nicht das gröÃte, nicht das kleinste, gut in Schuss, weià gestrichen, dunkle Fensterläden, ein einzelnes Licht brennt im Erdgeschoss. Aber da ist noch etwas, eine Eigenschaft, die ich nicht benennen kann und die das Haus aussehen lässt, als wäre es zu groà für sich, als würde irgendwas darin angestrengt einen Weg nach drauÃen suchen, als stünde es kurz davor, aus allen Nähten zu platzen. Irgendwie ist es ein verzweifeltes Haus.
Ich biege in die Auffahrt ein. Ich weiÃ, dass ich hier eigentlich nichts verloren habe, aber ich kann nicht anders. Es ist, als würde mich irgendetwas hineinziehen. Es regnet jetzt heftig und ich schnappe mir ein altes Sweatshirt vom Rücksitz â wahrscheinlich gehört es Izzy â und halte es mir über den Kopf, als ich vom Auto zur Veranda renne und meine Atemluft aufsteigt. Bevor ich lange darüber nachdenken kann, was ich hier eigentlich mache, klingele ich an der Tür.
Es dauert lange, bis jemand öffnet, und ich hüpfe ein bisschen hin und her, um warm zu bleiben. SchlieÃlich hört man ein Schlurfen von drinnen und dann quietschende Scharniere. Die Tür geht auf und dasteht eine Frau und blinzelt mich verwirrt an â Juliets Mutter. Sie trägt einen Bademantel, den sie mit einer Hand vorne zuhält. Sie ist genauso schlank wie Juliet und hat die gleichen hellblauen Augen und die gleiche blasse Haut wie ihre beiden Töchter. Bei ihrem Anblick muss ich an eine schmale Rauchfahne denken, die in der Dunkelheit aufsteigt.
»Ja, bitte?« Sie hat eine sanfte Stimme.
Irgendwie gerate ich aus dem Konzept. Aus irgendeinem Grund hatte ich angenommen, dass Marian mir die Tür öffnen würde. »Ich heiÃe Sam ⦠Samantha Kingston. Ich suche nach Juliet.« Weil es beim ersten Mal auch funktioniert hat, füge ich hinzu: »Wir sitzen im Labor nebeneinander.«
Ein Mann â Juliets Vater, nehme ich an â ruft von drinnen: »Wer ist denn da?« Die Stimme bellt laut und klingt so anders als die von Mrs Sykes, dass ich unbewusst zurückweiche.
Mrs Sykes zuckt zusammen und dreht schnell den Kopf, wobei sie versehentlich die Tür ein Stück weiter öffnet. Der Flur hinter ihr ist dunkel. Verschwommene blaue und grüne Schatten tanzen an der Wand, Reflexe eines Fernsehers aus einem Zimmer, das ich nicht sehen kann. »Niemand«, sagt sie schnell in die Dunkelheit hinter sich. »Es ist für Juliet.«
»Juliet? Da ist jemand für Juliet?« Er klingt genau wie ein Hund. Wuff, wuff, wuff, wuff. Ich unterdrücke den starken, nervösen Drang zu lachen.
»Ich kümmere mich schon darum.« Mrs Sykes wendet sich erneut mir zu. Mit ihrer Drehung geht die Tür wieder weiter zu, als würde sie sich daranlehnen. Ihr Lächeln dringt nicht ganz bis zu ihren Augen durch. »Juliet ist gerade nicht zu Hause. Kann ich dir irgendwie helfen?«
»Ich, äh, war heute nicht in der Schule und wir hatten da diesegroÃe Hausaufgabe â¦Â« Ich unterbreche mich hilflos und es tut mir schon leid, dass ich überhaupt hergekommen bin. Trotz meiner North-Face-Jacke zittere ich wie verrückt. Ich muss auch aussehen wie verrückt, wie ich da von einem Fuà auf den anderen hüpfe und mir gegen den Regen ein Sweatshirt über den Kopf halte.
SchlieÃlich scheint auch Mrs Sykes aufzufallen, dass ich im Regen stehe. »Komm doch rein«, sagt sie und tritt einen Schritt zurück in den Flur. Ich folge ihr hinein.
Gleich links geht eine offene Tür vom Flur ab, da steht der Fernseher. Ich kann gerade so einen Sessel erkennen und die Silhouette von jemandem, der dort sitzt, den
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