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Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie

Titel: Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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stolz auf dich, Sam«, denke ich immer noch an sie.
    Mom geht ins Bett. Stille erfüllt das Haus. Irgendwo in der Dunkelheit tickt eine Uhr, und als ich die Augen schließe, sehe ich Juliet Sykes ruhig auf mich zukommen. Ihre Schritte tappen auf Holz, und Blut strömt aus ihren Augen …
    Ich setze mich mit klopfendem Herzen im Bett auf. Dann stehe ich auf und taste im Dunkeln nach meiner North-Face-Jacke.
    Heute Morgen habe ich geschworen, dass ich um nichts in derWelt wieder zu Kents Party fahre, aber hier bin ich nun, schleiche auf Zehenspitzen die Treppe hinunter, schiebe mich durch den dunklen Flur und schnappe mir Moms Schlüsselbund von der Ablage im Hauswirtschaftsraum. Sie war heute überraschend menschlich, aber das Letzte, was ich jetzt gebrauchen kann, ist irgendeine Megadiskussion vom Typ Du-glaubst-wohl-du-kannst-die-Schule-schwänzen-und-jetzt-noch-ausgehen.
    Ich versuche mir einzureden, dass ich eigentlich nichts mit Juliet Sykes zu tun habe, aber ich muss immer daran denken, wie schrecklich es wäre, wenn das hier ihr Tag wäre. Wenn sie ihn immer wieder durchleben müsste. Ich finde, fast jeder – sogar Juliet Sykes – verdient es, an einem besseren Tag zu sterben als diesem.
    Sowohl an der Hintertür als auch an der Haustür quietschen die Scharniere so laut, als wären es Wecker (manchmal denke ich, dass meine Eltern das absichtlich so eingerichtet haben). In der Küche gieße ich vorsichtig etwas Olivenöl auf ein Küchentuch und reibe es in die Scharniere der Hintertür. Diesen Trick hat mir Lindsay gezeigt. Sie denkt sich ständig neue, bessere Methoden zum Abhauen aus, obwohl sie gar nicht zu einer bestimmten Zeit zu Hause sein muss und es sowieso keine Rolle spielt, wann sie weggeht und wiederkommt. Ehrlich gesagt glaube ich, dass sie das vermisst. Ich glaube, dass sie deshalb so viel Wert auf die Details legt – sie tut gerne so, als wäre es nötig.
    Die Tür mit den italienisch gewürzten Scharnieren schwingt beinahe lautlos auf und ich bin draußen. Ich habe allerdings nicht ganz zu Ende durchdacht, warum ich zu Kent fahre oder was ich da soll, deshalb drehe ich schließlich in willkürlich ausgewählten Straßen und Sackgassen um und fahre im Kreis, anstatt mich direkt auf den Weg dorthin zu machen. Die meisten Häuser stehen etwas von der Straße zurückgesetzt und leuchtende Fenster tauchen wie hängende Laternenmagisch aus der Dunkelheit auf. Es ist unglaublich, wie anders alles nachts aussieht – kaum wiederzuerkennen, vor allem im Regen. Häuser hocken, brütend und lebendig, massig auf ihren Rasenflächen. Es sieht ganz anders aus als Ridgeview bei Tag, wenn alles ordentlich sauber und poliert und gepflegt ist, wenn alles geordnet abläuft: Ehemänner gehen mit Kaffeebechern zum Auto, die Ehefrauen folgen kurz darauf im Pilatesdress, kleine Mädchen in Baby-Gap-Kleidern und Autositze und Lexus-SUVs und Starbucks-Becher und Normalität . Ich frage mich, welches die echte Version ist.
    Es sind kaum Autos auf der Straße. Ich krieche weiter mit fünfundzwanzig Stundenkilometern durch die Gegend. Ich suche nach etwas, ohne zu wissen, wonach. Ich komme an Elodys Straße vorbei und fahre weiter. Jede Straßenlaterne wirft einen ordentlichen Lichtkegel herab, der das Innere des Wagens kurz beleuchtet, bevor ich wieder in die Dunkelheit eintauche.
    Meine Scheinwerfer streichen über ein schiefes grünes Straßenschild fünfzehn Meter vor mir: Peace Street. Plötzlich muss ich daran denken, wie ich in der neunten Klasse mal bei Ally in der Küche gesessen habe, während ihre Mutter endlos ins Telefon quatschte und dabei barfuß und in einer Yogahose auf der Terrasse hin- und herging. »Sie holt sich ihre tägliche Dosis Klatsch ab«, hatte Ally gesagt und die Augen verdreht. »Mindy Sachs ist besser als Us Weekly .« Und Lindsay hatte eingeworfen, wie ironisch es ist, dass Ms Sachs in der Friedens straße wohnt – die ist doch das genaue Gegenteil von friedlich  –, und damals begriff ich zum ersten Mal wirklich, was das Wort ironisch bedeutet.
    Im letzten Moment reiße ich das Lenkrad herum und bremse und fahre dann durch die Peace Street. Es ist keine lange Straße – dort stehen nicht mehr als zwei Dutzend Häuser – und wie die meisten Straßen in Ridgeview endet sie in einer Sackgasse. Mein Herz macht

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