Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie
Portugal verursachen.« Elody kichert und wirft eine Fritte zurück.
»Dein morgendlicher Mundgeruch könnte eine Herde in Afrika aufscheuchen.« Ally beugt sich vor. »Und ich furze nicht.«
Lindsay und ich lachen und Elody und Ally bewerfen sich gegenseitig mit Pommes. Lindsay versucht zu sagen, dass sie da herrliches Fett verschwenden, aber sie prustet so heftig, dass sie kaum die Wörter herausbringt.
SchlieÃlich holt sie tief Luft und stöÃt hervor: »Wisst ihr, was ich gehört habe? Dass man einen Tornado in Iowa verursachen kann, wenn man heftig genug niest.«
Jetzt rastet sogar Ally aus und plötzlich probieren wir es alle aus, wir lachen und niesen und prusten gleichzeitig. Alle starren uns an, aber das ist uns egal.
Nach ungefähr einer Million Nieser lehnt Lindsay sich zurück, hält sich den Bauch und schnappt nach Luft.
»DreiÃig Tote bei Tornado in Iowa«, bringt sie hervor, »und fünfzig Vermisste.«
Davon bekommen wir den nächsten Lachanfall.
Lindsay und ich beschlieÃen, die sechste Stunde zu schwänzen und ins Eiscafé zu gehen. Lindsay hat Französisch, was sie unerträglich findet, und ich habe Englisch. Wir schwänzen oft die sechste Stunde zusammen. Wir sind im zweiten Halbjahr der Zwölften, von daher erwartet man geradezu von uns, nicht zum Unterricht zu erscheinen. AuÃerdem hasse ich meine Englischlehrerin, Mrs Harbor. Sie wechselt immer total unvermittelt das Thema. Manchmal drifte ich nur ein paar Minuten ab und dann redet sie plötzlich über Unterwäsche im achtzehnten Jahrhundert oder Unterdrückung in Afrika oder wie die Sonne aussieht, wenn sie über dem Grand Canyon aufgeht. Obwohl sie wahrscheinlich erst Mitte fünfzig ist, bin ich ziemlich sicher, dass sie langsam den Verstand verliert. So hat es bei meiner Oma auch angefangen: Gedanken, die herumschwirren und zusammenstoÃen, Ursachen, die erst nach der Wirkung kommen, Punkt A, der mit Punkt B vertauscht ist. Als meine Oma noch lebte, haben wir sie immer besucht, und obwohl ich noch keine sechs war, weià ich noch, dass ich dachte: Hoffentlich sterbe ich jung.
Hier haben Sie eine Definition für Ironie, Mrs Harbor.
Oder vielleicht für Vorahnung?
Streng genommen braucht man eine Sondererlaubnis, die von den Eltern und der Schulverwaltung unterschrieben sein muss, um das Schulgelände während des Unterrichts verlassen zu dürfen. Das war nicht immer so. Lange war es einer der Vorteile, in der Zwölften zu sein, dass man jederzeit das Schulgelände verlassen durfte, vorausgesetzt, man hatte eine Freistunde. Das ist allerdings zwanzig Jahre her und damals stand die Thomas-Jefferson-Highschool im Ruf, eine der höchsten Selbstmordraten unter Jugendlichen des Landes zu haben. Wir habenden Artikel mal im Internet rausgesucht: Die Connecticut Post bezeichnete uns als Selbstmörderschule.
Offenbar hat irgendwann eine Gruppe Jugendlicher das Schulgelände verlassen und ist von einer Brücke gefahren â ein Selbstmordpakt oder so was. Auf jeden Fall wurde anschlieÃend verfügt, dass niemand die Schule tagsüber ohne Sondererlaubnis verlassen darf. Ganz schön bescheuert, wenn man mal drüber nachdenkt. Das ist, als würde man allen das Wassertrinken verbieten, weil man herausgefunden hat, dass einige Schüler Wodka in Wasserflaschen in die Schule geschmuggelt haben.
Zum Glück gibt es noch einen anderen Weg, um das Schulgelände zu verlassen: durch ein Loch im Zaun hinter der Sporthalle neben den Tennisplätzen. Die Ecke dort nennen wir die Raucherlounge, weil dort immer die ganzen Raucher rumstehen. Als Lindsay und ich durch den Zaun klettern und uns auf den Weg durch den Wald machen, ist allerdings niemand da. Route 120 liegt ganz in der Nähe. Alles ist still und gefroren. Zweige und schwarze Blätter knirschen unter unseren Schuhen und unser Atem steigt in dichten weiÃen Wolken auf.
Die Schule ist etwa fünf Kilometer von der Innenstadt entfernt â oder dessen, was man als die Innenstadt bezeichnen kann â, aber nur achthundert Meter von einer kurzen StraÃe mit schmuddeligen Läden, die wir »die Reihe« nennen. Dort gibt es eine Tankstelle, das Eiscafé, ein Chinarestaurant, das Elody mal zwei Tage lang Magenprobleme beschert hat, und einen Geschenkladen, wo man rosa Glitzerballerinafigürchen und Schneekugeln und so Zeug kaufen kann. Da wollen wir
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