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Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie

Titel: Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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danebenstehenden Autos mitnimmt, und brüllt: »Gucci, Baby, Gucci«, was, wie sie behauptet, Italienisch für »perfekt« ist.
    In Gedanken habe ich mich von allem verabschiedet, von all diesen Orten, an denen ich so oft war, dass ich sie gar nicht mehr wahrnehme: das Feinkostgeschäft auf dem Hügel mit diesen genialen Hähnchenschnitzeln, der Kramladen, wo ich immer Garn für meine Freundschaftsarmbänder gekauft habe, der Immobilienmakler, der Zahnarzt und der kleine Garten, wo mir Steve King in der Siebten die Zunge in den Mund steckte und ich so überrascht war, dass ich zugebissen habe.Ich muss die ganze Zeit daran denken, wie seltsam das Leben ist, an Kent und Juliet und sogar an Alex, Katie und Brianna und Mr Otto und Ms Winters – daran, wie vielschichtig und verbunden alles ist, alles irgendwie miteinander verknüpft wie ein ausgedehntes, unsichtbares Netzwerk –, und wie man manchmal glaubt, das Richtige zu tun, und in Wirklichkeit ist es schrecklich und genau andersherum.
    Wir gehen zu Starbucks rein und ich hole mir einen Caffè Latte. Elody holt sich einen Muffin, obwohl sie gerade gefrühstückt hat, und Lindsay setzt sich einen Stoffteddy auf den Kopf und bestellt dann ein Wasser, ohne mit der Wimper zu zucken, während der Barista sie anstarrt, als wäre sie verrückt, und da muss ich sie einfach umarmen, und sie sagt: »Wir sind doch hier nicht im Schlafzimmer, Süße«, woraufhin die alte Frau hinter uns ein Stück von uns abrückt. Als wir lachend aus dem Laden kommen, lasse ich beinahe meinen Kaffee fallen: Sarah Grundels brauner Chevrolet steht mit laufendem Motor auf dem Parkplatz. Sarah trommelt mit den Händen aufs Lenkrad und sieht auf die Uhr, während sie darauf wartet, dass ein Platz frei wird. Der letzte Platz – der Platz, auf dem wir stehen.
    Â»Das ist ja wohl nicht dein Ernst«, sage ich laut. Jetzt kommt sie bestimmt zu spät.
    Lindsay missversteht mein Starren. »Ich weiß. Wenn ich so eine Karre hätte, würde ich mich damit auf keinen Fall auf die Straße trauen. Da würde ich lieber laufen.«
    Â»Nein, ich …« Ich schüttele den Kopf, als mir klar wird, dass ich es nicht erklären kann. Als wir an ihr vorbeigehen, verdreht Sarah die Augen und seufzt laut auf. Endlich . Plötzlich geht mir das Komische an der Situation auf und ich muss lachen.
    Â»Wie schmeckt der Caffè Latte?«, fragt Lindsay, als wir ins Auto steigen.
    Â»Wie durch einen Müllbeutel gefilterte Hundepisse«, sage ich. Wir fahren aus der Parklücke, hupen Sarah kurz an, worauf sie schnaubt und einparkt, sobald wir weg sind.
    Â»Was ist denn mit der los?«, fragt Elody.
    Â»PNS«, sagt Lindsay. »Parkplatz-Notstands-Syndrom.«
    Als wir wieder auf die Straße einbiegen, kommt mir der Gedanke, dass es vielleicht gar nicht so kompliziert ist. Die meiste Zeit über – 99 % der Zeit – weiß man einfach nicht, wie und warum die Fäden miteinander verschlungen sind, und das ist völlig in Ordnung. Man tut was Gutes und es passiert was Schlechtes. Man tut was Schlechtes und es passiert was Gutes. Man tut gar nichts und alles fliegt auseinander.
    Und ganz, ganz selten, durch ein Wunder aus Zufall und Fügung – Schmetterlinge, die einfach perfekt mit den Flügeln schlagen, und eine Minute lang hängen alle Fäden aneinander – bekommt man die Gelegenheit, das Richtige zu tun.
    Das Letzte, was mir durch den Kopf geht, als Sarah im Rückspiegel kleiner wird, während sie hastig aus dem Auto klettert und über den Parkplatz rennt, ist: Wenn man nur eine Verwarnung wegen Zuspätkommens davon entfernt ist, einen wichtigen Wettbewerb zu verpassen, sollte man seinen Kaffee vielleicht besser von zu Hause mitbringen.
    Als wir bei der Schule ankommen, muss ich mich um ein paar Sachen im Rosenraum kümmern, deshalb trenne ich mich von Elody und Lindsay. Anschließend beschließe ich, den Rest der ersten Stunde zu schwänzen, weil ich sowieso schon spät dran bin. Ich schlendere durch die Gänge und über das Schulgelände und denke darüber nach, wie eigenartig es ist, dass man sein Leben lang an einem Ort leben kann, ohne ihn sich genauer anzusehen. Sogar die gelben Wände – die wirdie Kotzflure getauft haben – finde ich jetzt schön und die schlanken kahlen Bäume mitten auf dem Schulhof elegant und

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