Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie
und in diesem Augenblick ist es, als faltete sich der Klassenraum zusammen und die Entfernung zwischen uns verschwände. Ein rasendes, stürmisches Gefühl überkommt mich, als würde ich in seine leuchtend grünen Augen hineingezogen. Auch die Zeit bricht auseinander und wir stehen wieder im Schnee bei mir auf der Veranda, seine warmen Finger, die über meinen Hals streichen, der sanfte Druck seiner Lippen, das Flüstern seiner Stimme in meinem Ohr. Es existiert nichts weiter als er.
»Mr McFuller. Würden Sie sich bitte hinsetzen?« Mr Daimlers Stimme ist kalt. Kent wendet sich von mir ab und der Moment ist vorbei. Er entschuldigt sich leise bei Mr Daimler und geht dann zu seinem Platz. Ich drehe mich um und folge ihm mit dem Blick. Ich liebe es, wie er auf seinen Stuhl gleitet, ohne den Tisch zu berühren. Ich liebe es, wie ihm ein Stapel zerknitterter Zeichnungen aus der Tasche rutscht, als er sein Mathebuch rausholt. Ich liebe es, wie er dauernd nervös an seinen Haaren rumfummelt und sich mit der Hand hindurchfährt, obwohl sie ihm fast augenblicklich zurück in die Augen fallen.
» Miss Kingston. Wenn ich nur einen Augenblick lang um Ihre geschätzte Aufmerksamkeit bitten dürfte.«
Als ich mich zurück nach vorn drehe, funkelt mich Mr Daimler böse an.
»Einen Augenblick lang wohl schon«, sage ich laut und alle lachen. Mr Daimler kneift den Mund zu einem schmalen Strich zusammen, sagt aber nichts weiter.
Ich schlage das Mathebuch auf, kann mich aber nicht konzentrieren. Mit den Fingern trommele ich auf die Unterseite meines Tischs, ganz hibbelig und freudig erregt, jetzt, wo ich Kent gesehen habe. Ich wünschte, ich könnte ihm genau beschreiben, wie ich mich fühle. Ich wünschte, ich könnte es ihm irgendwie erklären, damit er es weiÃ. Nervös schaue ich auf die Uhr. Ich kann es kaum erwarten, bis die Liebesboten endlich kommen.
Kent McFuller bekommt heute eine Extrarose.
Nach der Stunde warte ich im Gang auf Kent, in meinem Bauch tanzen die Schmetterlinge. Als er herauskommt, hält er die Rose, die ich ihm geschickt habe, behutsam in der Hand, als hätte er Angst, sie kaputt zu machen. Er blickt ernst und nachdenklich auf und seine Augen mustern mein Gesicht.
»Sagst du mir, was das soll?« Er lächelt nicht, aber seine Stimme hat einen neckenden Unterton und seine Augen strahlen.
Ich beschlieÃe ihn zurückzunecken, obwohl mir das Denken in seiner Nähe schwerfällt. »Ich weià nicht, was du meinst.«
Er hält die Rose hoch und klappt das Kärtchen auf, damit ich es lesen kann, obwohl ich natürlich weiÃ, was drinsteht.
Heute Abend. Lass Dein Telefon an und das Auto drauÃen stehen und sei mein Held.
»Geheimnisvoll«, sage ich und unterdrücke ein Lächeln. Er sieht noch zehnmal besser aus, wenn er beunruhigt ist. »Geheime Verehrerin?«
»Nicht ganz so geheim.« Sein Blick wandert immer noch über mein Gesicht, als stünde dort die Lösung des Rätsels, und ich muss weggucken, damit ich ihn nicht packe und an mich ziehe. Er macht eine Pause. »Ich gebe heute Abend eine Party, weiÃt du.«
»Ich weiÃ.« Schnell füge ich hinzu: »Ich meine, ich habâs gehört.«
»Also �«
Ich höre auf, mit ihm zu spielen. »Hör zu, es könnte sein, dass ich dich brauche, um mich irgendwo abzuholen. Dauert höchstens zwanzig Minuten. Es ist wichtig, sonst würde ich nicht fragen.«
Er zieht einen Mundwinkel zu einem schiefen Lächeln hoch. »Was springt für mich dabei raus?«
Ich beuge mich vor, bis mein Mund nur Zentimeter von seiner perfekt geformten Ohrmuschel entfernt ist. Sein Geruch â frisch gemähtes Gras und Minze â macht süchtig. »Ich verrate dir ein Geheimnis.«
»Jetzt?«
»Später.« Ich weiche zurück. Ansonsten könnte ich mich nicht zurückhalten und würde seinen Hals küssen. Ich weià nicht, was mit mir nicht stimmt. Mit Rob war es nie so. Wenn Kent in der Nähe ist, kann ich kaum meine Hände bei mir behalten. Vielleicht bringt mehrmals zu sterben den Hormonhaushalt durcheinander oder so was. Irgendwie gefällt mir das.
Sein Gesichtsausdruck wird wieder ernst. »Was hier steht â¦Â« Er fummelt an der Nachricht herum, faltet sie zusammen und wieder auseinander. Seine Augen glänzen, mit Gold durchzogen. »Das am Schluss
Weitere Kostenlose Bücher