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Wenn du wiederkommst

Titel: Wenn du wiederkommst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Mitgutsch
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zischten über mich hinweg wie Geschosse, eine Anschuldigung von ihm, eine giftige Bemerkung von dir, hin und her, als säße ich nicht dazwischen, als sei eure Sorge nicht meine Augenkrankheit, sondern eure kleinen Scharmützel, in solchen Situationen zog ich mir dann den Schal über den Kopf und stellte mir vor, ich säße im Zug zwischen zwei Unbekannten. Jeder für sich allein wart ihr ganz in Ordnung, sagt sie, aber zusammen wart ihr nur mit euch selber beschäftigt, und man wußte nie, wann die Stimmung umschlagen und übergangslos der Krieg ausbrechen würde.
    Auch ich erinnere mich an deine Augenoperation, erwidere ich, als der Chirurg herauskam und sagte, in der nächsten halben Stunde würde sich entscheiden, ob er die Sehkraft des linken Auges erhalten könne. Jerome lief im Wartezimmer auf und ab, es war, als wolle er mit seinem Hin- und Herrennen ein elektrisches Feld aufladen. Und als der Arzt nach einer Stunde auftauchte und wir schon an seinem erleichterten Lächeln sehen konnten, daß alles gut gegangen war, fielen wir einander weinend in die Arme. In Krisenzeiten hatten wir uns
immer aufeinander verlassen können, besonders wenn es um dich ging.
    Im Lauf der Gespräche kommen wir auf Peter und seine Rolle beim Begräbnis. Irgend etwas an ihm hat mich an Jerome erinnert, sage ich mit mehr Wärme, als Ilana ertragen kann.
    Gar nichts an ihm erinnert an Dad, gibt sie ärgerlich zurück, er ist ein Wichtigtuer, der im Mittelpunkt stehen und seine Show abziehen muß. Ihr seid ja auch alle auf ihn hereingefallen, habt ihm applaudiert und ihn umarmt, als wäre er der Hauptleidtragende. Ein egozentrischer Clown ist er, der seine eigenen Interessen vor die Bedürfnisse der andern stellt.
    Genauso hätte ich vor dreißig Jahren Jerome beschrieben, denke ich.
    Aber er tut es mit Charme, sage ich, er hat, wie dein Vater sagen würde, das Va Va Vou, und wir lachen.
    Bevor sie am Abend nach Rhode Island fährt, will sie noch einmal auf den Friedhofs. Ich stecke einen Stein vom Strand bei Provincetown in meine Jackentasche. Er ist von einem regelmäßigen Oval und gesprenkelt wie ein Ei, und ich erinnere mich, wie ich damals das Katzensilber in der Sonne glitzern sah. Ich erinnere mich an das helle Klicken der vom Meer rundgeschliffenen Steine; benetzt von der zurückweichenden Flut traten die Adern und die Farben hervor und machten sie zu Fundstücken von seltener Schönheit. Ich wußte, zu Hause würden es Steine sein, ohne Glanz und Nutzen, sie würden auf Regalen liegen und Schalen füllen, bis sie weggeworfen wurden. Der Stein ist von unserer letzten Fahrt nach Provincetown am ersten Sonntag im April.
    Wir waren allein am Strand. Jerome blieb bald zurück, es strengte ihn an, durch den Sand zu stapfen, die Dünen hatten im Lauf des Winters die halbe Straße zugeweht, und ich ging
ohne ihn weiter. Ich erinnere mich an die ausgelassene Heiterkeit, mit der wir den Abstand zwischen uns größer werden ließen, jedesmal, wenn ich mich nach ihm umdrehte, winkten wir einander und warfen uns Kußhände zu, bis die Entfernung zu groß war. Zu dieser Jahreszeit sind die Strände verlassen, die meisten Restaurants und Ferienhäuser sind mit Holzplatten gegen die Winterstürme verbarrikadiert, und auf Schildern an der Zufahrt steht: Closed for the Season . Vor mir waren nur die leichten Abdrücke der Seemöwenfüße auf dem festgebackenen Sand und wenn ich mich umwandte, sah ich nichts als meine Fußspuren zwischen Meer und Dünen. Die Wasseroberfläche wechselte von Eisblau in ein tiefes Indigoblau, und weiße Gischtkämme verliefen sich am seichten Rand. Die Brandung klang leise und regelmäßig wie ein schlürfendes Tier. Als ich zurückkam, saß er im Auto und klagte über Schmerzen im linken Arm, verfluchte das alte Rheuma.
    In Provincetown standen wir eine Weile an der Hafenmauer, die leeren Takelagen eingewinterter Segelschiffe stachen in den Himmel, Seemöwen mit den Flügeln von Albatrossen landeten auf der Pier. In den engen Gassen mit ihren kleinen weißen Häusern und breiten Veranden flanierten ein paar Touristen, aber die meisten Geschäfte waren geschlossen. Wir gingen die Main Street entlang, an den Schaufenstern von Souvenirläden vorbei, lachten über die Aufschriften auf den T-Shirts: Too many Christians, too few lions. Dieses T-Shirt wollte er nächstes Mal für seinen Kollegen Leslie, den Sohn eines anglikanischen Pfarrers, kaufen, wenn die Läden wieder offen hätten. Der einzige Touristenladen, der

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