Wenn du wiederkommst
erklären, bitte ich sie. Was erhoffst du dir davon?
Freiheit, sagt sie und sieht mich prüfend an. Ich nicke, denn
mit der Freiheit kenne ich mich aus, ich weiß, wie stark die Sehnsucht nach Freiheit sein kann und daß sie sich unendlich viele Wege bahnt.
Unabhängigkeit, fährt sie fort, und ihre Augen beginnen zu leuchten. Sie sieht an mir vorbei in die Helligkeit einer wäßrigen Morgensonne, während sie deklamiert, als hätte sie die Sätze schon oft für sich formuliert: Daß ich etwas Neues machen kann, etwas nie Dagewesenes, etwas, das man sich vorher nicht vorstellen konnte. Und das Theater war immer schon der Ort für mich, wo Magie wirklich wird. Es reicht einfach nicht aus, ins Theater zu gehen und es zu unterrichten, ich will Theater machen, ich will es ganz nah erleben, vom ersten Gedanken, vom Augenblick des Entstehens an.
Jerome sprach erst wieder in den letzten Jahren, als der Erfolg ihn verließ, davon, daß er es immer noch bereute, seiner Begabung und einer frühen Leidenschaft für das Theater nicht nachgegeben zu haben. Aber sie war immer da und immer Teil von ihm, und er hat beides, Begabung und Leidenschaft, seiner Tochter vererbt. Er hatte sie schon als Dreijährige zu jeder Kinderaufführung mitgenommen, und wenn sie dafür nach New Hampshire fahren mußten. Sie waren immer auf dem Laufenden, kannten die über die Provinz verstreuten Bühnen, nichts war ihnen zu ausgefallen, kein Theater zu klein. Als sie noch in die Highschool ging, fuhren wir an manchen Wochenenden zu dritt die vier Stunden zu Broadway Aufführungen nach New York und in derselben Nacht zurück. Später, als Ilana nicht mehr zu Hause wohnte, war sie es, die den inzwischen träge gewordenen Jerome ins Theater mitnahm und über die Szene auf dem laufenden hielt. Sie ließ ihm selten Zeit, sich zu entscheiden, die Möglichkeit, daß er ablehnen könnte, kam ihr nicht in den Sinn. Ich habe zwei Karten für
den neuen David Mamet heut abend, erklärte sie dann am Telefon, ich hole dich um halb sieben ab.
Jetzt, wo ich mit ihr am Tisch sitze und erfahre, daß sie vorhat, alle Sicherheiten hinter sich zu lassen, fällt mir das KGB wieder ein. Jerome knüpfte weit zurückgehende Kindheitserinnerungen an diesen Ort, er war mit den Begründern der Bühne aufgewachsen, K. und B. G. waren die Initialen ihrer Namen. Vielleicht verkörperten diese einstigen Spielgefährten für Jerome einen Weg, den auch er in der politisch radikalisierten Zeit der Bürgerrechtsbewegung hätte einschlagen können. Das KGB im Village von Manhattan war eines der vielen Off-Off-Broadway Theater, die in den sechzigerJahren entstanden waren, die meisten waren seither längst wieder verschwunden. Aber das KGB war ein Treffpunkt für junge Leute geblieben und wurde im Lauf der Jahrzehnte zu einer Art Talente-Börse für angehende Schriftsteller und Dramatiker. Es war nur ein kleiner Raum im ersten Stock am Ende einer steilen Holztreppe, die dunkelroten Wände bis zur Decke mit kommunistischen Insignien bedeckt, Hammer und Sichel, Leninbilder, harmlose Zitate aus einer fernen Zeit, wie sorglos man damals mit den Symbolen einer fernen Diktatur umging. Es wurden Einakter unbekannter junger Autoren gespielt und manchmal Stücke, die vage an Brecht erinnerten, es gab Lesungen und Poetry Slams, an den Tischen saßen junge Frauen wie Ilana, mit adretten Frisuren und im Twin Set, und junge Männer, denen man ansah, daß sie entschlossen waren, Künstler zu werden. Es ging nicht mehr um Politik, es ging um Selbstentwürfe, um Träume vom großen Erfolg. Jerome und ich fühlten uns ein wenig fehl am Platz, wir standen meist an der Bar und tranken Root Beer oder Kaffee aus dickwandigen Steingutbechern, sonst gab es nichts. Es verlieh Ilana offenbar Sicherheit,
ihre Eltern im Hintergrund zu wissen, während sie unter den um ein paar Jahre Alteren saß und mit ihnen diskutierte, denn manchmal rief sie Jerome, damit er über die ferne Zeit berichtete, als Manhattan der Experimentierplatz neuer Theaterformen war. Jedesmal, wenn eine Gruppe von Zuhörern um ihn versammelt war, ging in Jerome eine Verwandlung vor. Er hatte ein Publikum, das er begeistern konnte, seine Körpersprache strahlte eine Lebendigkeit, ja eine Sinnlichkeit aus, die mich an den Anfang unserer Liebe zurückversetzte, als ich nicht genug davon bekommen konnte, ihn anzusehen. Mein pädagogischer Eros, sagte er lachend, als ich später von meinem Eindruck sprach, vielleicht hätte ich Lehrer werden
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