Wenn du wiederkommst
sollen. Jetzt sehe ich in Ilanas Augen das gleiche Feuer, und der Verdacht steigt in mir auf, daß Jerome sie darauf vorbereitet hat, seinen Traum zu leben. Aber sein Traum ist vierzig Jahre alt und fällt in eine andere Zeit, in unsere Zeit, die nicht die ihre ist.
Solange Ilana sich zurückerinnern kann, war das Theater für sie und ihren Vater der Ort, wo sie sich verstanden, wo sie sich nahe waren, bei den gemeinsamen Fahrten auf nächtlichen Highways, den Streitgesprächen und den Erinnerungen an bestimmte Szenen, an Schauspieler, und später gingen die Zitate in ihr Repertoire an Sätzen ein, die sie einander zuwarfen und über die sie immer wieder lachen konnten. Von der Sehnsucht nach ihrem Vater zum Entschluß, Theaterproduzentin zu werden, führt ein kurzer eindeutiger Weg.
Dazu wirst du Geld brauchen, wende ich ein, und Einfluß, Kontakte, Sponsoren, Förderer, lauter Dinge, die man nicht erzwingen kann, für die es glücklicher Zufälle bedarf. Das Geld vom Verkauf des Hauses bekommst du nur einmal, dann ist es weg, gebe ich zu bedenken. Du stehst noch unter Schock,
man soll nicht aus einem seelischen Ausnahmezustand heraus entscheiden. Dein Vater war so stolz auf dich, auf dein Ivy League-Doktorat, jedem hat er es erzählt. Trotz aller Romantik und aller Illusionen war ihm Sicherheit immer wichtig.
Ilana lacht: Wenn er mit mir angegeben hat, war er ein wenig wie die alte Dame am Strand, die ruft, Hilfe, mein Sohn, der Doktor, ertrinkt!
Und wenn du jetzt alles aufgibst, alle Sicherheit, und es geht schief? Dad kann dich nicht mehr beschützen. Du stehst jetzt ganz allein auf deinen eigenen Füßen.
Ich habe nur ein Leben, und das will ich nicht vergeuden, erwidert sie. Ich will am Ende so gelebt haben, daß es ein erfülltes, aufregendes Leben war.
Das habe ich auch einmal gesagt und alles aufgegeben, um deinen Vater zu heiraten, sage ich.
Hast du es bereut? fragt sie, aber es ist eine Frage mit der Satzmelodie einer Feststellung. Der Verdacht, ich hätte mir ein anderes Leben gewünscht, bedrückt sie. Deshalb sage ich ohne zu zögern: Nein, ich hab es nicht bereut.
Ich hatte mir oft gewünscht, jemand hätte mir einen Rat gegeben und ich hätte darauf gehört, jemand hätte mich gewarnt vor den Dingen, die ich mir nicht vorstellen konnte, weil ich zu jung war. Vor der Einsamkeit der Emigration, die mir jede Orientierung raubte, jahrelang. Ich wußte nicht, wer die Menschen waren, denen ich begegnete, ich konnte sie mir aus keinem bekannten Zusammenhang heraus erklären, ich wußte nicht, woher sie kamen und wie sie lebten, ich konnte ihre Sprache nicht zuordnen, und ließ mich von Äußerlichkeiten irreführen, naiv und ahnungslos wie ein Kind, und niemand half mir, auch Jerome nicht, auch er wurde ungeduldig und lachte über mich, wenn ich mich in der neuen Umgebung
nicht mit der Sicherheit zurechtfand, die für ihn und alle anderen selbstverständlich war. Sie waren drinnen, und ich war draußen, sie kannten die Stichworte, ich nicht. Ich war oft so sehr draußen, daß ich mich für eine Weile im Bad einschloß, um vor der Gesellschaft der Gleichgesinnten meine Verlassenheit zu verbergen. Mit seinem Bedürfnis, sich in Szene zu setzen, stellte Jerome sich mutwillig und ahnungslos auf die Seite der anderen und spielte mir, der Fremden, den Insider vor. Soll ich meiner Tochter sagen, ja, in schlechten Zeiten habe ich es bereut? Wenn Jerome fremde Menschen auf meine Kosten unterhielt und zum Lachen brachte, anstatt mir in der Verwirrung des Ungewohnten beizustehen, habe ich ihn gehaßt. Dann müßte ich auch von der diskreten Rücksichtnahme reden, mit der er dreißig Jahre lang alles von mir fernhielt, woran ich mich nie gewöhnen konnte, alles, wovon er wußte, daß es mir schwerer fiel als ihm, der hier aufgewachsen war. Weißt du, was du aufgibst? hatte mich damals meine alte Lehrerin gefragt, und ich hatte ihr geantwortet: Es ist mein Leben. Jetzt weiß ich, daß alles für eine Liebe aufzugeben ein tollkühner Sprung ins Ungewisse ist. Jedenfalls möchte ich Ilana davor bewahren, mit ihren Chancen so leichtfertig umzugehen wie damals ich, aber vielleicht fürchte ich in Wahrheit nur um das Leben, das wir uns für sie gewünscht haben.
Ich kann dir nichts aufzwingen, sage ich resigniert, ich möchte ja nur, daß du glücklich wirst.
Eine große Nähe ist an diesem Morgen zwischen uns, vielleicht ist sie in den vielen Stunden der vergangenen Tage seit Jeromes Tod entstanden, in denen wir
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