Wenn du wiederkommst
offen war, verkaufte Muscheln. Ich habe die Muscheln, die ich damals mitnahm, im Arbeitszimmer auf ein Bücherbord gelegt wie Amulette gegen das Vergessen.
Zum Abendessen fuhren wir weiter landeinwärts zum Red
Pheasant, ein Landgasthaus mit weißlackierten Gartenstühlen, bunten Bezügen und Bordüren in einem lichtdurchfluteten Wintergarten. Draußen blühten Krokusse und Schneeglöckchen zwischen altem Laub, und die Hartriegelsträucher an der Gartenmauer waren mit winzigen weißen Blüten übersät. Es war ein später Frühling, die Bäume waren noch kahl und um die Zweige spielte ein rötlicher Schimmer, für uns jedoch war es ein milder Herbst. Die Kämpfe waren vorbei, unsere Gier nach unerreichbaren Zielen hatte sich gelegt. Ich erinnerte mich an den Satz einer Freundin: Du siehst doch, daß er dich nicht will, hatte sie gesagt. Ich habe sie am Ende alle widerlegt, dachte ich, weil ich immer sicher war, daß es nicht stimmte. Die Gastzimmer strahlten Heiterkeit und Behagen aus, aber Jerome war melancholisch und wortkarg, und drängte zum Aufbruch, was ungewöhnlich war, Gespräche nach dem Essen, lustvoll verstohlene Blicke auf die anderen Gäste und Mutmaßungen über sie, gehörten zu unseren Ritualen.
Wir fuhren auf Nebenstraßen zurück, die Küste entlang, an den gepflegten Rasen und den weißen Zäunen der Villen von Duxbury vorbei, von denen wir seit Jahrzehnten träumten, wenn er endlich einen seiner großen Gewinne an Land gezogen hätte, bei Megabucks, in Las Vegas oder bei einem Schadensprozeß um Millionen. Von der Brücke zu den exklusiven Stränden schauten wir zu, wie die untergehende Sonne sich im flachen Ufer der Salzmarschen spiegelte, die Wellen der auslaufenden Ebbe setzten sich im geriffelten Sand fort, ein einzelner Reiher watete in das brackige Wasser hinaus auf der Suche nach Krebsen. Bilder, wie ich sie in vierzig Jahren ungezählte Male gesehen habe, aber dieser Ausflug auf Cape Cod war unser letzter gewesen, und es kommt mir vor, als sei auch die Landschaft in dem Augenblick untergegangen, als er starb.
Ich weiß, es war nur unsere kleine, für andere bedeutungslose Welt, die der Tod ausgelöscht hat, aber für uns war sie groß und umfassend wie das Universum. Aller anderen Leute Welten sind davon unberührt, ein anderer Tod wird sie zu einer anderen Zeit einholen, es beruhigt mich, das zu wissen.
Das Grab ist eine kahle Stelle auf dem Rasen zwischen den anderen Gräbern. Ich widerstehe der Versuchung, mich daraufzulegen, nicht als pathetischen Ausdruck der Trauer, sondern weil ich nicht glauben kann, daß ein Mensch in seiner ganzen Länge so wenig Raum einnimmt. Wie kann er in einem so kurzen, schmalen Viereck Platz haben? Es ist keine gute Akkererde, sondern mit Kieseln und Steinen durchsetzter Lehmboden. Ilana kramt einen Zettel hervor, sieht mich verschämt von der Seite an und gräbt mit den Fingernägeln ein Loch zwischen den harten Erdbrocken, um den Brief hineinzustekken und mit ihrem mitgebrachten Stein zuzudecken, als wäre sein Grab die Klagemauer in Jerusalem. Als könne er Gebete erhören und Wunder wirken, jetzt wo er tot ist. Auch ihr Stein muß eine besondere Bedeutung haben, er ist flach und fast makellos weiß. Wie hilflos wir sind in unserem Übrigbleiben. Als mache es einen Unterschied, welche Geschenke wir ihm auf das Grab legen, der Regen wird den Zettel herauswaschen, die Steine werden von neuen Schichten Erdreich zugedeckt werden, wenn die noch lockere Erde sich zu senken beginnt und der Körper darunter verfault und sein Skelett bloßlegt, der Brustkorb einbricht. Wir stehen an seinem Grab, wie man am Bett eines Kranken steht, an der Längsseite. Außer uns ist niemand auf dem Friedhof, es herrscht eine Stille, als seien sogar die Vögel gestorben. Alles ist untergegangen, die kleinen Holzkirchen, weiß bis zur Kirchturmspitze, die Fischerdörfer, in denen wir an Sommerabenden Hummern und Langusten
gegessen haben, die Trödelläden an den Touristenrouten, in denen wir an Wochenenden stöberten, die herbstlichen Ahornbäume, die dreißig Jahre lang ihre roten Helme in den tiefblauen Herbsthimmel stießen, die Ungeheuerlichkeit eines Todes ist darüber hinweggerollt und hat alles zu diesem streng geometrischen Gräberfeld eingeebnet, auf dem die Steine, wie Betende in der Synagoge nach Osten ausgerichtet, in der Nachmittagssonne gleißen.
Wir stehen schweigend da, aber ich weiß, Ilana redet mit ihm, so wie ich mit ihm rede, wir schreien lautlos, sieh
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