Wenn du wiederkommst
Schnappschuß in den Händen, den ich damals von Jerome gemacht hatte, ich erkannte Zeitpunkt und Umstände der Aufnahme an seinem Mantel mit dem breiten Samtkragen wieder. Aber der junge Mann mit dem schwarzen Schnurrbart und der Haltung, die an die Pose Napoleons erinnert, war mir nicht sympathisch, er erschien mir ein wenig zu selbstbewußt und eitel. Man mußte schon jung und verliebt gewesen sein, um seine Selbstgefälligkeit zu übersehen. Es war mir unangenehm, das Foto zu betrachten, ich weiß nicht, wer dieser junge Mann war, und es schien mir, als fälle ich ein schnelles, ungerechtes Urteil über einen Unbekannten.
Was fehlt dir am meisten, will Vijay wissen.
Sein Humor, sage ich, seine Phantasie, daß alles Niederdrückende sein Gewicht verlor, wenn ich mit ihm zusammen war. Er zog mich immer mitten ins Leben hinein, er hatte soviel davon, soviel Energie, die ihn ans Leben band.
Er war ein Lebenskünstler, wirft Prabodh ein.
Er hat sich selber immer als Überlebenskünstler bezeichnet, sage ich.
Seine Fürsorge fehlt mir, füge ich hinzu, sie war mir oft lästig, aber jetzt fehlt sie mir.
Ich muß auf dich aufpassen, das sagte er in der ersten Zeit, als wir im Jamaica Tower lebten, ebenso häufig wie, ich liebe dich. Später wurde mir klar, daß Fürsorge und Liebe für ihn identisch waren, jedesmal, wenn er zu einem Menschen Zuneigung faßte, wollte er ihn beschützen und dessen Probleme zu seinen eigenen machen. Manchmal wurde mir und Ilana sein Beschützerdrang zur Plage, dem wir uns nur durch Flucht entziehen konnten. Schon damals, in den ersten Monaten unseres Zusammenlebens bat er mich inständig, nur in seiner Begleitung und nie in der Dunkelheit um den Jamaica Pond spazierenzugehen. Aber gerade nach Sonnenuntergang wurde der Park erst schön, wenn die gelben Fallschirme der Gingkobäume in der Dämmerung leuchteten und der See die Farbe des Himmels annahm. Jeromes fürsorgliches Interesse gab den Menschen, denen er sich zuwendete, Geborgenheit, sie vertrauten ihm, das machte seinen Charme aus und war das Geheimnis seiner Überzeugungskraft. Das alles versuche ich Vijay zu erklären, während sie mir beim Reden zusieht und sagt: Du hast ihn sehr geliebt, aber ich glaube, er hat es nicht begriffen.
Er hat es nicht begreifen wollen, sage ich.
Ich erinnere mich an einen Vormittag im letzten Winter in Cambridge wie an eine in der Zeit erstarrte Szene. Burdick’s war mein Cafe, ich hatte es an einem Morgen entdeckt, an dem ich dringend Trost brauchte. Ich weiß nicht mehr genau, was mich dort so vollkommen tröstete, der kleine hellgrün getünchte Raum mit den Spiegelwänden und den Bänken entlang
der Wände, die alten zusammengewürfelten Möbel, die großen, dickwandigen Tassen, an denen man sich die Hände wärmen konnte, oder daß ich aus der Wärme in einen dunklen, naßkalten Tag hinausblickte, an dem es nicht hell werden wollte, aber ich fühlte mich getröstet wie ein eben noch zu Unrecht bestraftes Kind. Jerome konnte nie ganz die Magie dieses Cafes verstehen, aber er trank gern die heiße Schokolade, ein dickflüssiges Gebräu von einem ins Violett spielenden Braun. Ich saß ihm gegenüber, wir redeten, und ich betrachtete mich im Spiegel hinter ihm, als sich die drei Bulgarinnen am Nebentisch niederließen, eine jugendliche, glamouröse Mutter mit zwei erwachsenen attraktiven Töchtern. Ich sah sein Entzücken bei ihrem Anblick und wußte, gleich würde er sie ansprechen. Woher sie kämen, ob sie hier lebten, fragte er und hörte nicht auf, sie auszufragen und Ratschläge zu erteilen, obwohl sie nur widerwillig antworteten, er neigte sich zu ihrem Tisch hinüber und verlor dabei fast das Gleichgewicht. Als sie ihm zu verstehen gaben, daß sie sich nicht mit ihm unterhalten wollten, drängte er ihnen seine Visitenkarte auf: Ich bin Anwalt, falls Sie mich einmal brauchen. Ich spürte seine glückliche Aufregung und gleichzeitig die Irritation der drei Frauen, die sich gestört fühlten, und schämte mich seiner Aufdringlichkeit. Bald darauf begann er im Internet nach Ferienappartements in Sofia zu suchen, ein neuer Traum begann Gestalt anzunehmen.
Er hat es nicht begreifen wollen, versuche ich Vijay zu erklären, denn dann hätte er mich sehen müssen, so wie er andere gesehen hat, als Gegenüber, als Möglichkeit, als Zukunft.
Später führe ich sie durchs Haus wie bei einer Auktion. Jeder Raum ist wie ein Trödelladen voller Gegenstände, die auf einen unwahrscheinlichen Käufer
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