Wenn du wiederkommst
warten. Auch Dinge, die
mir früher etwas bedeuteten, will ich nicht mehr haben. Nimm dir, was immer dich an ihn erinnert, sage ich zu Prabodh und hoffe, sein Blick fiele auf Krawatten, Hemden, Pullover. Aber er bleibt vor der Wand im Arbeitszimmer stehen und zeigt auf eine Grafik, eine Karikatur von Yeats mit großem Kopf und winzigem Rumpf. Den Yeats habe ich ihm geschenkt, weil er ihn so gern zitierte, sagt er. Ich nehme ihn von der Wand, dränge ihm das Bild auf. Ein Stück weniger, das ich nicht mitnehmen kann, weil es bittere Erinnerungen weckt, und das ich trotzdem der Vernichtung nicht preisgeben möchte, weil er es täglich vor Augen gehabt hatte.
Ich möchte in der nächsten Ausgabe des Jahresberichts für Alumni einen Nachruf auf ihn schreiben, schlägt Prabodh vor, kannst du mir ein Curriculum Vitae beschaffen?
Jerome arbeitete mit Word Perfect, bevor WINWORD aufkam, und er blieb auch später dabei, es fiel ihm leichter, er war daran gewöhnt, aber wir kennen den Schlüssel nicht und können die Dateien nicht öffnen. Seine Tagebücher, vor deren Lektüre ich Angst hatte, alles, was er vor mir und der Welt streng verborgen hielt, ist in ihnen gespeichert. Ich bin enttäuscht und auch erleichtert, als wir einer nach dem anderen den Versuch aufgeben, den Code zu knacken. Haben wir das Recht, über die uns abgewandte Seite seines Lebens zu verfügen? Was er zu seinen Lebzeiten nicht teilen wollte, soll ungeöffnet bleiben. Er war auf seine Intimsphäre sehr bedacht, sage ich, man konnte nie genau wissen, was für ihn dazu gehörte, aber ich habe es immer respektiert. Get out of my body bag, pflegte er zu sagen, wenn jemand seinen Geheimnissen hinterherschnüffelte. Ich habe nie ganz verstanden, was er damit meinte. Body bags waren die Leichensäcke im Marschgepäck amerikanischer Soldaten im Zweiten Weltkrieg, in denen man
sie zurück nach Hause schickte, wenn sie im Kampf gefallen waren. Bei Jerome war es Ausdruck der Abwehr, als griffe man nach seiner Seele.
Am nächsten Tag bringe ich Prabodh und Vijay zum Bahnhof, wir umarmen uns wie Verwandte, versprechen einander weitere Besuche, Telefonate, Briefe, aber wir wissen, es wird nicht dazu kommen. Was uns verbindet ist die Erinnerung an Jerome, die für jeden etwas anderes bedeutet und verblassen wird. Ich schaue ihnen nach, zwei alte Menschen, Vijays in einem Knoten zusammengefaßtes langes Haar ist schütter, aber trotz ein paar silberner Fäden noch immer glänzend schwarz, sie sind zusammen alt geworden und haben ihre Ration Glück noch nicht aufgebraucht. So habe ich mir unsere Zukunft vorgestellt und mich in der Vorfreude darauf eingerichtet, so wie ich mir als Kind die besten Süßigkeiten für zuletzt aufgespart hatte, um bis zum Schluß etwas zu haben, worauf ich mich freuen konnte.
Zu Hause suche ich alle Fotos mit Prabodh und Vijay aus den Müllsäcken und lege sie in den Karton, den Jerome mit seiner krakeligen Linkshänderschrift als photos to be kept gekennzeichnet hat. Ich weiß, daß ich über seine Erinnerungen und die Gegenstände, an denen sie sichtbar werden, verfüge, als wären sie mein eigenes Leben gewesen. Die Dinge sind nicht mehr sie selbst, sie sind Stecknadeln auf der Landkarte unserer Kriege und Friedenszeiten.
Ilana und ich haben den zweiten Schabbat-Abend ohne Jerome gefeiert und den letzten Rinderbraten, den er gekauft und eingefroren hatte, gegessen. Von Tag zu Tag verschwinden jetzt
die unscheinbaren Spuren seines Lebens, wie er es für die unmittelbare Zukunft vorausgeplant hatte, und mit diesen alltäglichen Dingen entfernt auch er sich unmerklich, obwohl wir auf Regalen und Kommoden Devotionalienaltäre mit Fotos und symbolträchtigen Gegenständen für ihn errichtet haben.
Wenn ich eines seiner Lieblingsgerichte koche, erwarte ich, daß er jeden Augenblick hereinkommt und ruft: Ah, wonach duftet es denn so herrlich? Die Freude an gutem Essen hatten sie gemeinsam, Jerome und seine Tochter, es war stets eine ernstzunehmende Sache und erforderte Konzentration, die beim Einkaufen begann und bei Tisch zelebriert wurde. Es lohnt die Mühe, für Ilana zu kochen, und jeden Abend, an dem wir zusammen essen, öffnen wir einen der alten Weine, die er für besondere Anlässe aufbewahrt hatte, Jahrgänge, die in unserem Leben eine besondere Bedeutung hatten, Geburtsjahrgänge, Abschlußjahrgänge, Erinnerungen an glückliche Höhepunkte, von denen wir wünschen, es hätte ihrer mehr gegeben. Aber den Wein kann ich trotzdem
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