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Wenn ein Reisender in einer Winternacht

Wenn ein Reisender in einer Winternacht

Titel: Wenn ein Reisender in einer Winternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Italo Calvino
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Geist der beiden Literaturen, so stellt sich doch nur die Frage: Welche geht weiter in der Negation aller Werte?«
    Die kimbrisch-kimmerische Kontroverse scheint Ludmilla nicht zu berühren, ihr geht jetzt nur ein Gedanke im Kopf herum: die Möglichkeit einer Fortsetzung des abgebrochenen Romans. »Ob es wahr ist, was Lotaria gesagt hat?« fragt sie dich leise. »Diesmal wünschte ich, daß sie recht hätte und daß der Anfang, den wir vorhin gehört haben, eine Fortsetzung fände, egal in welcher Sprache. «
    »Ludmilla«, unterbricht Lotaria, »wir gehen jetzt zu unserer Arbeitsgruppe. Wenn du an der Diskussion über den Roman von Viljandi teilnehmen willst, dann komm. Du kannst auch deinen Freund mitbringen, wenn er Interesse hat.«
     
    So bist du nun angeheuert unter Lotarias Flagge. Die Gruppe setzt sich in einem Hörsaal um einen Tisch. Du und Ludmilla, ihr hättet gern einen Platz so nah wie möglich an dem abgegriffenen Aktenordner, den Lotaria vor sich hat und der offenbar den Roman enthält.
    »Wir haben Herrn Professor Galligani, dem Ordinarius für kimbrische Literatur, dafür zu danken«, beginnt Lotaria, »daß er uns freundlicherweise ein seltenes Exemplar von Ohne Furcht vor Schwindel und Wind zur Verfügung gestellt hat und auch persönlich zu unserem Seminar erschienen ist. Ich meine, daß diese Aufgeschlossenheit unsere besondere Schätzung verdient, zumal angesichts der Verständnislosigkeit anderer Dozenten in benachbarten Disziplinen. «, und bedeutungsvoll blickt Lotaria zu ihrer Schwester hinüber, um sicherzustellen, daß ihr die Spitze gegen Uzzi-Tuzii nicht entgeht.
    Alsdann wird Professor Galligani gebeten, einige Hinweise zur historischen Einordnung des Romans zu geben. »Ich will hier nur kurz daran erinnern«, sagt er, »daß die Provinzen, die den kimmerischen Staat gebildet hatten, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs der neugegründeten Kimbrischen Volksrepublik angeschlossen wurden. Beim Ordnen der Dokumente aus den kimmerischen Archiven, die vom Kriegsgeschehen überrollt worden waren, gelang den Kimbrern unter anderem die Neubewertung der komplexen Persönlichkeit eines Autors wie Vorts Viljandi, der sowohl in kimmerischer als auch in kimbrischer Sprache geschrieben hat, von dessen (Euvre aber die Kimmerer nur den vergleichsweise schmalen Anteil in ihrer Sprache veröffentlicht hatten. Als quantitativ und qualitativ viel bedeutender erwiesen sich nun seine Schriften in kimbrischer Sprache, die von den Kimmerern unterdrückt worden sind, namentlich der umfangreiche Roman Ohne Furcht vor Schwindel und Wind, von dessen Anfang, wie es scheint, auch eine kimmerische Urfassung unter dem Pseudonym Ukko Ahti existiert. Doch zu seiner wahren Inspiration für diesen Roman fand der Autor ganz ohne Zweifel erst nach seiner definitiven Option für die kimbrische Sprache...«
    Der Professor räuspert sich und blickt in die Runde. »Man erspare mir«, fährt er fort, »die lange Geschichte der wechselhaften Fortune dieses Romans in der Kimbrischen Volksrepublik. Zunächst als ein Klassiker publiziert und bald auch ins Deutsche übersetzt, um ihn angemessen im Ausland verbreiten zu können (in dieser Übersetzung werden wir ihn studieren), fiel er später den ideologischen Kurskorrekturen zum Opfer und wurde aus dem Verkehr gezogen, ja selbst aus den Bibliotheken entfernt. Nach unserer Überzeugung ist indessen sein revolutionärer Gehalt von größter Aktualität. «
    Ihr brennt nun darauf, du und Ludmilla, dieses verlorene Buch aus der Asche wiedererstehen zu sehen, aber ihr müßt erst noch warten, bis die Mitglieder des Kollektivs ihre Aufgaben untereinander verteilt und festgelegt haben, wer bei der Lesung auf die Reflexe der Produktionsweise achten soll, wer auf die Verdinglichungsprozesse, wer auf die Sublimation des Verdrängten, wer auf die semantischen Codes des Sexuellen, wer auf die Metasprachen des Körpers und wer auf die Überschreitung der Rollen, im Politischen und im Privaten.
    Endlich schlägt Lotaria ihren Ringordner auf und beginnt zu lesen. Die Stacheldrahtverhaue zerfallen wie Spinnweben. Alle hören schweigend zu, ihr und die anderen.
    Eins bemerkt ihr sofort, ihr beiden: Was ihr da hört, steht in keiner erkennbaren Beziehung zu Über den Steilhang gebeugt, auch nicht zu Vor dem Weichbild von Malbork und schon gar nicht zu Wenn ein Reisender in einer Winternacht. Ihr tauscht einen raschen Blick miteinander, genauer sogar zwei Blicke: erst einen fragenden, dann einen

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