Wenn ein Reisender in einer Winternacht
oder vielleicht auch der Umstand, daß sich die Jugend im allgemeinen Durcheinander wiedererkennt und wohlfühlt, jedenfalls fühlte ich mich an jenem Morgen, als ich inmitten der Menschenmenge die Eiserne Brücke überquerte, heiter und unbeschwert, im Einklang mit den anderen, mir selbst und der Welt wie seit langem nicht mehr, (Ich möchte kein falsches Wort gebrauchen, sagen wir lieber: im Einklang mit dem Mißklang der anderen, meiner selbst und der Welt.) Schon war ich ans Ende der Brücke gelangt, wo eine steile Treppe zur Uferstraße hinunterführt und sich der Menschenstrom staute, so daß man sich gegen die Nachdrängenden zurückstemmen mußte, um nicht auf die langsamer Absteigenden gedrückt zu werden - auf Beinamputierte, die mühsam eine Krücke vor die andere setzten, auf Pferde, die quer zur Treppe am Halfter hinabgeführt werden mußten, damit ihre Hufeisen nicht auf den eisernen Stufen ausglitten, auf Motorräder mit Beiwagen, die von ihren Fahrern hinuntergetragen wurden (sie hätten besser daran getan, die Wagenbrücke zu benutzen, was ihnen auch prompt die erbosten Fußgänger zuriefen, aber das hätte sie einen Umweg von mindestens einer Meile gekostet) -, da bemerkte ich neben mir eine Frau.
Sie trug einen Mantel mit Pelzbesatz an den Handgelenken und am unteren Rand sowie einen Glockenhut mit einem Schleier und einer Rose; sie war nicht nur elegant gekleidet, sondern, wie ich sogleich erkannte, auch jung und wohlgefällig. Während ich sie von der Seite betrachtete, riß sie plötzlich die Augen auf, fuhr sich mit der behandschuhten Hand zum Munde, der sich zu einem Schrei des Entsetzens verzerrte, und sank hintenüber. Sie wäre gewiß zu Boden gefallen und von der gleich einer Elefantenherde vorwärtsdrängenden Menge zertrampelt worden, hätte ich sie nicht rechtzeitig aufgefangen.
»Ist Ihnen nicht gut?« frage ich. »Lehnen Sie sich doch einfach an mich. Es wird schon vorübergehen.«
Sie war erstarrt, zu keiner Bewegung mehr fähig.
»Die Leere, die Leere, da unten...«, stammelt sie. »Hilfe, mir wird schwindlig...«
Nichts, was man sah, schien ein Schwindelgefühl zu rechtfertigen, doch die Frau war offenbar wirklich in Panik.
»Schauen Sie nicht hinunter und halten Sie sich an meinem Arm. Gehen Sie langsam hinter den anderen her, wir sind gleich am Ende der Brücke«, sage ich in der Hoffnung, daß dies die richtigen Argumente sind, um sie zu beruhigen.
Darauf sie: »Ich spüre, wie all diese Schritte sich ablösen von den Stufen und weiterschreiten ins Leere, um in den Abgrund zu stürzen. eine stürzende Menge. «, und sträubt sich weiter.
Ich blicke hinunter, schaue durch die Lücken zwischen den eisernen Stufen auf die farblose Strömung des Flusses, sehe die Eisschollen auf ihm treiben wie kleine Wolken am Himmel, und in einem plötzlichen Schwindelanfall meine ich gleichfalls zu spüren, was sie verspürt: daß jede Leere ins Leere führt, daß unter jedem Abhang, und sei er auch noch so gering, ein neuer Abhang sich auftut, daß jede Schlucht in den endlosen Abgrund mündet, ins Nichts. Ich lege den Arm um ihre Schultern, ich stemme mich gegen die Nachdrängenden, die zu schimpfen beginnen: »He, ihr da! Geht weiter! Umarmt euch woanders! So eine Schamlosigkeit!« - doch die einzige Art und Weise, der uns erfassenden Menschenlawine zu entgehen, wäre abzuheben, hinauszuschreiten ins Leere, zu fliegen. Wahrhaftig, nun ist auch mir auf einmal, als schwebte ich über dem Rand eines Abgrunds.
Vielleicht ist dieser Bericht eine Brücke, die sich über dem Nichts erhebt, vielleicht sollen all die Fakten, Eindrücke und Gefühle, mit denen er um sich wirft, ein tragfähiges Gerüst erzeugen, einen Hintergrund von sowohl kollektiven wie individuellen Umwälzungen, in deren Mitte ein Weg sich auftun könnte, mögen dabei auch viele Umstände sowohl historischer wie geographischer Art noch im Dunkeln bleiben. Ich bahne mir einen Weg durch die Fülle der Einzelheiten, die verbergen sollen, welche Leere darunter gähnt, ich dränge ungestüm vorwärts, indes die Frauengestalt neben mir am Rande einer Treppenstufe mitten im Menschengedränge verharrt, bis es mir endlich gelingt, sie mühsam, fast wie ein totes Gewicht hinunterzuschleppen, Stufe für Stufe, um schließlich erschöpft die Füße auf das Pflaster der Uferstraße zu setzen.
Sie rafft sich auf, hebt den Kopf und blickt hochmütig über mich hinweg; sie kommt in Bewegung; sie geht, ohne anzuhalten, sicheren Schrittes
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