Wenn ein Reisender in einer Winternacht
bestimmt. Wenn dir jemand vorliest, mußt du dich ständig bemühen, deine Aufmerksamkeit mit seinem Lesetempo in Einklang zu bringen - mal liest er zu schnell und mal zu langsam.
Wenn du gar zuhörst, wie jemand aus einer anderen Sprache übersetzt, kommt ein Schwanken ins Spiel, ein Zögern vor den Wörtern und Sätzen, eine gewisse Unschärferelation und Vorläufigkeit. Der Text, der beim Lesen etwas greifbar Vorhandenes ist, an dem du dich reiben mußt, erscheint im Falle der mündlich vorgetragenen Übersetzung als etwas zugleich Vorhandenes und Nichtvorhandenes, Ungreifbares.
Hinzu kommt, daß der Professor Uzzi-Tuzii seine mündliche Übersetzung anfangs so vorgetragen hatte, als sei er sich nicht ganz sicher, ob er die Wörter richtig zusammenbringt: Ständig war er auf die Perioden zurückgekommen, um ihre syntaktischen Zotteln und Fransen auszubürsten, hatte die Sätze gedreht und gewendet, bis sie sich gänzlich entknautschten, hatte sie durchgewalkt, gekämmt und gebügelt, sich bei jedem Wort aufgehalten, um seine idiomatischen Färbungen und seine Nebenbedeutungen zu erläutern, hatte dazu gewundene Gesten gemacht, gleichsam als Aufforderung, sich mit ungefähren Äquivalenten zu begnügen, hatte sich unterbrochen, um auf grammatikalische Regeln, etymologische Herleitungen und Zitate von Klassikern hinzuweisen. Schon glaubtest du, dem Professor seien die Philologie und Gelehrsamkeit wichtiger als das, was die Geschichte erzählt - da ging dir langsam auf, daß es in Wahrheit umgekehrt ist: Diese ganze gelehrte Verpackung dient nur als schützende Hülle für das, was die Erzählung sagen und ungesagt lassen will, für den inneren Atem ihres Geistes, der sich beim geringsten Kontakt mit der Luft zu verflüchtigen droht, für das Echo eines verschollenen Wissens, das sich im Halbschatten und in den verschwiegenen Andeutungen offenbart.
Im Konflikt zwischen der Notwendigkeit, mit seinen erhellenden Kommentaren einzugreifen, um dem Text beim Freilegen seiner Bedeutungsvielfalt hilfreich zur Seite zu stehen, und dem Bewußtsein, daß jedes Interpretieren Willkür ist und dem Text Gewalt antut, fand der Professor bei manchen besonders vertrackten Passagen keine andere Lösung, als dir die Stelle im Original vorzulesen. Der Klang jener unbekannten Sprache, erschlossen aus theoretischen Regeln, nicht überliefert durch lebendige Stimmen mit ihren individuellen Akzenten, nicht gezeichnet von den Spuren des formenden und verformenden Gebrauchs, erreichte die Absolutheit von Klängen, die keine Entsprechung mehr haben, wie der Gesang des letzten überlebenden Exemplars einer ausgestorbenen Vogelart oder das grelle Aufheulen des soeben fertiggestellten Prototyps eines neuen Düsenjägers, der beim ersten Testflug am Himmel zerbirst.
Dann aber, ganz langsam, war etwas in Bewegung und ins Laufen gekommen zwischen den Sätzen dieser entstellten Diktion. Die Prosa des Romans gewann allmählich die Oberhand über die Unsicherheiten der Stimme, sie wurde zunehmend flüssig und transparent. Ja, Uzzi-Tuzii schwamm darin wie ein Fisch im Wasser und begleitete seinen Vortrag mit den entsprechenden Gesten (er hielt die Hände ausgebreitet wie Flossen) und mit den entsprechenden Mundbewegungen (den Lippen entströmten die Worte wie kleine blubbernde Luftbläschen) und mit den entsprechenden Blicken (die Augen wanderten über die Seiten wie Fischaugen über den Meeresgrund, aber auch wie die Augen eines Aquariumbetrachters, der die Bewegungen eines Fisches in einem beleuchteten Becken verfolgt).
Dich umgibt jetzt nicht mehr der Institutsraum mit den Bücherregalen und dem Professor: Du bist in den Roman eingetaucht, du siehst jenen nordischen Strand vor dir, du folgst den Schritten jenes empfindsamen Tagebuchschreibers. In deiner Versunkenheit merkst du erst gar nicht, daß plötzlich jemand neben dir sitzt. Aus den Augenwinkeln erkennst du Ludmilla. Ja, sie ist da, sitzt neben dir auf einem Stoß Folianten, auch sie ganz versunken in den Roman.
Ist sie gerade gekommen, oder hat sie auch schon den Anfang der Lesung mitgehört? Ist sie geräuschlos eingetreten, ohne zu klopfen? War sie vorher schon hier, versteckt zwischen den Regalen? (Sie pflegte sich hier zu verstecken, hatte Irnerio gesagt. Sie kommen hierher, um unaussprechliche Dinge zu tun, hatte Uzzi-Tuzii gesagt.) Oder ist sie eine Erscheinung, heraufbeschworen durch den magischen Zauber in den Worten des professoralen Hexenmeisters?
Doch der liest unbeirrt
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