Wenn ein Reisender in einer Winternacht
los; sie eilt von dannen in Richtung Mühlenstraße, ich kann ihr kaum folgen.
Auch der Bericht hat Mühe, ihr auf den Fersen zu bleiben und einen Dialog wiederzugeben, der sich nun Satz für Satz über dem Nichts erhebt. Für den Bericht ist die Brücke noch nicht zu Ende, unter jedem Wort gähnt die Leere.
»Fühlen Sie sich besser?« frage ich.
»Es ist nichts weiter. Mich packt der Schwindel, wenn ich am wenigsten darauf gefaßt bin, auch wenn nirgendwo eine Gefahr in Sicht ist. Höhe und Tiefe spielen dabei keine Rolle. Es genügt schon, wenn ich nachts zum Himmel aufsehe und an die Entfernung der Sterne denke. Oder auch am Tage. Hier zum Beispiel, wenn ich mich hier jetzt hinlegen und hinaufsehen würde, gleich würde mich wieder der Schwindel packen.« Sie zeigt zu den Wolken hinauf, die der Wind über den Himmel treibt. Sie spricht vom Schwindel, als wäre er eine Versuchung, die sie irgendwie lockt.
Ich bin ein wenig enttäuscht, daß sie kein einziges Wort des Dankes für mich hat. Ich sage: »Dies ist kein guter Ort, um sich hinzulegen und zum Himmel hinaufzusehen, weder bei Nacht noch am Tage. Glauben Sie mir, ich verstehe etwas davon.«
Wie zwischen den eisernen Stufen der Brücke, so klaffen leere Stellen zwischen den Sätzen des Dialogs.
»Sie verstehen etwas vom Betrachten des Himmels? Wieso? Betreiben Sie Astronomie?«
»Nein, eine andere Art von Beobachtung«, antworte ich und zeige ihr die Artillerieabzeichen auf den Kragenspiegeln meiner Uniform. »Tagelang unter den Bombardements, wenn ich den Flug der Schrapnells verfolge.«
Ihr Blick geht von meinen Kragenspiegeln zu den Schulterklappen, die ich nicht habe, und weiter zu den kaum sichtbaren Rangabzeichen an meinen Ärmeln. »Kommen Sie von der Front, Herr Leutnant?«
»Alex Zinnober«, stelle ich mich vor. »Ich weiß nicht, ob ich Leutnant genannt werden kann. In meinem Regiment sind die Offiziersgrade abgeschafft worden, aber die Vorschriften ändern sich ja dauernd. Momentan bin ich bloß ein Soldat mit zwei Streifen am Ärmel, weiter nichts.«
»Ich bin Irina Piperin, und das war ich auch schon vor der Revolution. Was ich in Zukunft sein werde, weiß ich nicht. Früher habe ich Stoffmuster entworfen, und solange es keine Stoffe gibt, mache ich jetzt Entwürfe ins Blaue.«
»Manche verändern sich mit der Revolution so sehr, daß man sie kaum wiedererkennt, andere fühlen sich heute mehr denn je mit sich eins. Müßte ein Zeichen dafür sein, daß sie schon reif waren für die neue Zeit. Ist es so?«
Sie antwortet nicht. Ich füge hinzu: »Es sei denn, eine totale Ablehnung hielte sie davon ab, sich zu verändern. Ist das bei Ihnen der Fall?«
»Ich. Nein, sagen Sie mir zuerst, wie sehr Sie sich verändert haben.«
»Nicht sehr. Ich merke, daß ich gewisse Ehrbegriffe von früher nicht abgelegt habe, zum Beispiel eine Dame vor dem Sturz zu bewahren, auch wenn mir heute niemand mehr dafür dankt.«
»Wir haben alle unsere Schwächen, Frauen wie Männer, und wer sagt Ihnen, Leutnant, daß ich nicht Gelegenheit haben werde, mich Ihnen erkenntlich zu zeigen für Ihre höfliche Geste von vorhin?« Ihre Stimme hat etwas Spitzes, fast einen Anflug von Ressentiment.
Hier könnte der Dialog - der die Aufmerksamkeit so sehr auf sich gezogen hat, daß er die brodelnde Stadt fast in Vergessenheit geraten ließ - abbrechen: Die üblichen Militärkonvois durchqueren die Stadt sowie die geschriebene Seite und trennen uns; oder auch die üblichen Schlangen wartender Frauen vor den Geschäften, oder die üblichen Demonstrationszüge streikender Arbeiter mit ihren Pappplakaten. Irina ist schon weit in der Ferne, ihr Glockenhut mit der Rose segelt davon auf einem Meer von Ballonmützen, Kopftüchern und Soldatenhelmen; ich versuche ihr nachzueilen, doch sie schaut nicht zurück.
Es folgen einige Absätze voller Namen von Generälen und Deputierten, es geht um Kanonendonner, Beschießungen und Rückzüge von der Front, um Spaltungen und Wiedervereinigungen der im Provisorischen Rat vertretenen Parteien, dazwischen Bemerkungen über das Wetter: Regengüsse und Rauhreif, ziehende Wolken und Windböen. All dies jedoch nur als Beiwerk meiner jeweiligen Gemütszustände: bald der freudigen Hingabe an den Lauf der Ereignisse, bald der Rückzüge in mich selbst, als wollte ich meine ganze Kraft auf ein obsessives Vorhaben konzentrieren, als diente mir alles um mich her nur als Maske, mich darin zu verbergen, dahinter in Deckung zu gehen wie hinter den
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