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Wenn ein Reisender in einer Winternacht

Wenn ein Reisender in einer Winternacht

Titel: Wenn ein Reisender in einer Winternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Italo Calvino
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diese Erleichterung währt nur den Bruchteil einer Sekunde, denn gleich darauf denke ich, daß es ja nicht nur jenes fremde Telefon gibt, das dort klingelt, sondern viele Kilometer entfernt, Hunderte oder gar Tausende von Kilometern entfernt gibt es auch das meine, das sicher gerade in diesem Moment durch die verlassenen Räume schrillt, und wieder bin ich zerrissen zwischen der Notwendigkeit und der Unmöglichkeit zu antworten.
    Jeden Morgen vor meinem Kolleg mache ich eine Stunde Jogging, das heißt ich ziehe meinen Olympiadress an und gehe hinaus, um zu laufen, weil ich das Bedürfnis nach körperlicher Bewegung habe, weil die Ärzte es mir verordnet haben gegen die Fettleibigkeit, die mir zu schaffen macht, und weil's auch ein bißchen die Nerven beruhigt. Wenn man hier tagsüber nicht auf den Campus geht, in die Bibliothek oder zu den Vorlesungen der Kollegen oder in die Cafeteria, weiß man nicht, was man tun soll; das einzige, was einem bleibt, ist kreuz und quer über den Hügel zu laufen zwischen den Ahornbäumen und Weiden, wie es viele Studenten tun und auch viele Kollegen. Wir begegnen einander auf den raschelnden Laubwegen und sagen manchmal »Hi!«, manchmal gar nichts, weil wir den Atem sparen müssen. Auch das ist ein Vorzug des Laufens vor anderen Sportarten: Jeder macht es für sich und braucht den anderen keine Rechenschaft abzulegen.
    Der Hügel ist dicht bebaut, ich laufe an kleinen Häusern vorbei, alle aus Holz, zweistöckig und mit Garten, alle verschieden und alle ähnlich, und dauernd höre ich irgendwo ein Telefon klingeln. Das macht mich nervös, ich laufe unwillkürlich langsamer, spitze die Ohren, um zu hören, ob jemand rangeht, und werde ungeduldig, wenn es weiterschrillt. Ich laufe weiter, komme an einem anderen Haus vorbei, in dem ein Telefon klingelt, und denke: »Da ist ein Anruf, der mich verfolgt, da sucht sich jemand im Straßenverzeichnis alle Nummern der Chestnut Lane raus und ruft ein Haus nach dem anderen an, um zu sehen, wo er mich erreicht.«
    Manchmal liegen die Häuser ganz still und verlassen da, Eichhörnchen huschen die Stämme hinauf, Elstern flattern herab, um die Körner zu picken, die in Holzschalen für sie ausgelegt worden sind. Ich laufe und spüre, wie sich ein vages Alarmgefühl in mir regt, und noch bevor ich den Ton mit den Ohren auffange, registriert schon mein Geist die Möglichkeit eines Klingeins, ruft es gleichsam herbei, saugt es förmlich aus seinem Nichtsein hervor, und im gleichen Moment erreicht mich aus einem Haus, erst gedämpft und dann immer lauter, das Schrillen der Glocke, dessen Schwingungen wohl schon lange, bevor mein Gehör sie wahrnahm, von einer Antenne in meinem Innern aufgefangen worden sind, und ich stürze Hals über Kopf in einen absurden Wahn, bin gefangen in einem Kreis, dessen Zentrum das klingelnde Telefon in dem Haus dort ist, ich laufe, ohne vom Fleck zu kommen, ich trete auf der Stelle, ohne den Trab zu verlangsamen.
    »Wenn so lange keiner rangeht, heißt das doch, daß niemand zu Hause ist. Aber warum läßt der Anrufer es dann weiterklingeln? Was erwartet er sich davon? Wohnt da vielleicht ein Schwerhöriger, bei dem man sehr lange insistieren muß, bis er's hört? Wohnt da vielleicht ein Gelähmter, dem man sehr viel Zeit lassen muß, bis er sich an den Apparat geschleppt hat. Wohnt da vielleicht ein Selbstmörder, bei dem man hofft, er werde, solange ihn noch jemand anruft, vor dem Allerletzten zurückschrecken. « Ich denke, ich sollte vielleicht versuchen, mich irgendwie nützlich zu machen, gehen und nachsehen, ob ich jemandem helfen kann, dem Schwerhörigen, dem Gelähmten, dem Selbstmörder. .. Und zugleich denke ich (in der absurden Logik, die mich bewegt), dann könnte ich ja auch gleich mal nachsehen, ob der Anruf nicht etwa zufällig mir gilt. ..
    Ohne im Laufen innezuhalten, stoße ich die Gartentür auf, betrete das Grundstück, trabe ums Haus, erkunde den hinteren Teil des Anwesens, laufe bis hinter die Garage, den Geräteschuppen, die Hundehütte. Alles scheint verlassen zu sein, wie ausgestorben. Durch ein offenes Hinterfenster sieht man in ein unaufgeräumtes Zimmer, das Telefon steht auf dem Tisch und klingelt. Der Fensterladen schlägt, die Fensterflügel verfangen sich in den zerfetzten Vorhängen.
    Schon dreimal bin ich ums Haus gelaufen; ich mache weiter die Joggingbewegungen, hebe die Ellenbogen und Fersen, atme im Rhythmus des Laufens, damit man sehen kann, daß ich kein Einbrecher bin; wenn man

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