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Wenn ein Reisender in einer Winternacht

Wenn ein Reisender in einer Winternacht

Titel: Wenn ein Reisender in einer Winternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Italo Calvino
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Zeit, daß sich dieses Buch in der zweiten Person nicht mehr nur an ein unbestimmtes männliches Du wendet, ein Du als Bruder und Doppelgänger womöglich eines scheinheiligen Ich, sondern nun auch direkt an dich, die du seit dem zweiten Kapitel als notwendige Dritte Person auftrittst, damit der Roman ein Roman werden kann, damit zwischen jener männlichen Zweiten Person und der weiblichen Dritten etwas geschehen, in Gang kommen, sich entwickeln oder auch scheitern kann entsprechend den Wechselfällen des menschlichen Lebens. Genauer: entsprechend den Denkmustern, nach denen wir die Wechselfälle des menschlichen Lebens erleben. Noch genauer: entsprechend den Denkmustern, nach denen wir den Wechselfällen des menschlichen Lebens die Bedeutungen geben, die sie für uns erlebbar machen.
    Bisher war dieses Buch sorgsam darauf bedacht, dem Leser, der es liest, die Möglichkeit offenzuhalten, sich mit dem Leser, der darin gelesen wird, zu identifizieren. Darum hat er keinen Namen bekommen, der ihn automatisch mit einer Dritten Person, einer Romanperson gleichgesetzt hätte (während du als Dritte Person einen Namen bekommen mußtest, eben Ludmilla), sondern er wurde bewußt im abstrakten Zustand eines Pronomens belassen, verfügbar für jedes Attribut und jede Aktion. Sehen wir nun, ob es dem Buch gelingen wird, von dir, Leserin, ein wahres Porträt zu zeichnen, beginnend mit dem Rahmen, um dich von allen Seiten her einzufassen und die Umrisse deiner Gestalt zu bestimmen.
    Zum erstenmal bist du dem Leser in einer Buchhandlung erschienen, hast Gestalt angenommen, indem du gleichsam aus einer Bücherwand tratest, als hätte die Fülle der Lesestoffe das Vorhandensein einer Leserin erfordert. Dein Zuhause als Ort, wo du liest, kann uns nun sagen, welchen Platz die Bücher in deinem Leben haben: ob sie eine Schutzmauer sind, die du vor dir errichtest, um die Außenwelt fernzuhalten, ein Traum, in den du eintauchst wie in eine Droge, oder ob sie womöglich Brücken sind, die du nach draußen schlägst, hinaus in die Welt, die dich so interessiert, daß du ihre Dimensionen mit Hilfe der Bücher erweitern und vervielfachen willst. Um dies herauszufinden, weiß der Leser, daß er zunächst deine Küche besichtigen muß.
    Die Küche ist der lehrreichste Teil deiner Wohnung: Sie kann uns verraten, ob du zu kochen pflegst oder nicht (anscheinend ja, wenn nicht täglich, so doch recht häufig), ob nur für dich oder auch für andere (meist nur für dich, aber sorgsam, als wär's auch für andere, gelegentlich auch für andere, aber sorglos, als wär's nur für dich), ob du zum unverzichtbaren Minimum neigst oder eher zur feinen Kochkunst (deine Vorräte und Gerätschaften lassen an ausgeklügelte, originelle Rezepte denken, zumindest den Intentionen nach; du brauchst nicht ausgesprochen verfressen zu sein, doch der Gedanke an ein Abendessen aus zwei dürftigen Spiegeleiern könnte dich trübselig stimmen) und ob das Kochen für dich eine lästige Notwendigkeit ist oder auch ein Vergnügen (du hast die winzige Küche so eingerichtet, daß du dich ohne Mühe darin bewegen kannst; du willst dich hier nicht lange aufhalten müssen, aber dich auch nicht unwohl fühlen). Die Elektrogeräte stehen an ihrem Platz als nützliche Arbeitstiere, deren Verdienste man schätzen kann, auch ohne sie besonders zu pflegen. Bei den Utensilien ist ein gewisser Ästhetizismus bemerkbar (ein Satz Wiegemesser in abnehmender Größe, wo sicher auch eins genügt hätte), aber im allgemeinen sind die dekorativen Elemente zugleich auch nützliche Dinge mit wenig Zugeständnissen ans Verspielte. Auch deine Vorräte können einiges über dich aussagen: ein Sortiment Gewürze, manche davon gebräuchlich, andere wohl mehr zur Vervollständigung einer Kollektion; das gleiche möchte man von den Senfsorten sagen; doch vor allem bezeugen die in Reichweite aufgehängten Knoblauchknollenzöpfe ein nicht oberflächliches oder abstraktes Verhältnis zum Essen. Ein Blick in den Kühlschrank bringt weitere wertvolle Aufschlüsse: Im Eierfach findet sich nur noch ein Ei, Zitronen fehlen bis auf eine halbe, schon halb vertrocknete; mit anderen Worten, bei der Versorgung mit Grundnahrungsmitteln zeigt sich eine gewisse Nachlässigkeit. Dafür gibt es Kastaniencreme, schwarze Oliven, ein Gläschen mit Salsifis oder Meerrettichsoße: Man sieht, daß du dich beim Einkaufen von der ausgestellten Ware anziehen läßt, ohne groß nachzudenken, was dir zu Hause fehlt.
    Alles in

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