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Wenn ein Reisender in einer Winternacht

Wenn ein Reisender in einer Winternacht

Titel: Wenn ein Reisender in einer Winternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Italo Calvino
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ist. .. Wenn dieser Anruf nicht tatsächlich mir gegolten hat. Eine mächtige Gangsterbande hält mich im Auge, sie wissen, daß ich jeden Morgen hier Jogging mache, vielleicht haben sie auf dem Hügel einen Beobachter mit Teleskop, der meine Schritte genau verfolgt, und wenn ich an das verlassene Haus komme, rufen sie an, mich, weil sie Bescheid wissen über meine Blamage mit Marjorie, damals in meiner Wohnung, und mich nun erpressen wollen. Ohne es recht gemerkt zu haben, bin ich zum Campuseingang gelangt, immer noch laufend, in Sportdress und Joggingschuhen, ich war gar nicht erst zu Hause, um mich umzuziehen und meine Bücher zu holen, was tue ich jetzt? Ich laufe über den Campus, ein paar Mädchen kommen mir auf dem Rasen entgegen, es sind meine Studentinnen, schon auf dem Weg zu meiner Vorlesung, sie sehen mich an mit diesem ironischen Grinsen, das ich nicht ausstehen kann.
    Ich wende mich im Vorbeitraben an die Lorna Clifford, frage sie: »Stubbs gesehen?«
    Die Clifford blinzelt: »Marjorie? Seit zwei Tagen ist die nicht mehr aufgetaucht.    Wieso?«
    Schon laufe ich wieder. Haste zum Campus hinaus. Nehme die Grosvenor Avenue, dann Cedar Street, dann Maple Road. Bin ganz außer Atem, laufe nur noch, weil ich den Boden unter den Füßen gar nicht mehr spüre, auch nicht die Lunge in meiner Brust. Da endlich kommt Hillside Drive, 11, 15, 27, 51. .. Gottseidank geht's rasch voran mit den Hausnummern. Da ist die 115. Die Tür steht offen, ich jage die Treppe hinauf, stürze in ein halbdunkles Zimmer. Auf dem Sofa liegt Marjorie, gefesselt, geknebelt. Ich binde sie los. Sie übergibt sich. Sieht mich voller Verachtung an.
    »Du Bastard!« sagt sie.

VII
    Du sitzt an einem Cafetischchen, liest den Roman von Silas Flannery, den dir Cavedagna geliehen hat, und wartest auf Ludmilla. Dein Geist ist von zwei gleichzeitigen Erwartungen okkupiert: Du brennst auf den Fortgang des Buches und auf das Wiedersehen mit Ludmilla. Du konzentrierst dich auf die Lektüre und versuchst, den Gedanken an Ludmilla in das Buch zu verlagern, als hofftest du schon, sie werde dir aus den Seiten entgegentreten. Doch es gelingt dir nicht mehr zu lesen, der Roman tritt auf der Stelle, gerät ins Stocken, kommt nicht über die Seite hinaus, die du gerade vor Augen hast, als könnte erst die Ankunft Ludmillas den Fluß der Geschehnisse wieder in Gang bringen.
    Man ruft dich. Es ist dein Name, den der Kellner da zwischen den Tischen wiederholt. Steh auf, du wirst am Telefon verlangt. Ludmilla? Ja, sie ist es: »Ich erklär's dir später. Ich kann jetzt nicht kommen.«
    »Hör mal, ich habe das Buch! Nein, nicht das kimbrische, keins von denen: ein neues! Paß auf. « Halt, du willst den Roman doch wohl nicht am Telefon hier erzählen! Laß sie erstmal zu Wort kommen, hör, was sie dir zu sagen hat.
    »Komm du zu mir«, sagt Ludmilla. »Ja, zu mir nach Hause. Ich bin im Moment noch nicht da, aber ich werde bald kommen. Wenn du vor mir da bist, geh einfach schon rein. Der Schlüssel liegt unter der Matte.«
    Wie ungezwungen und schlicht, diese Lebensweise! Schlüssel unter der Matte, Vertrauen zum Nächsten, sicher gibt's da auch wenig zu stehlen. Du eilst zu der angegebenen Adresse. Du klingelst: vergeblich. Sie ist nicht zu Hause, wie sie vorausgesagt hatte. Du findest den Schlüssel. Trittst ins Halbdunkel der heruntergelassenen Rolläden.
    Die Wohnung einer alleinstehenden jungen Frau. Hier also wohnt Ludmilla: Sie lebt allein. War's das, was du als erstes feststellen wolltest? Ob es hier Anzeichen für die Gegenwart eines Mannes gibt? Oder willst du lieber so lange wie möglich nichts davon wissen, im unklaren bleiben, im Zweifel? Etwas hält dich gewiß davon ab, hier neugierig herumzuschnüffeln (du hast die Rolläden ein bißchen hochgezogen, aber nur ein bißchen). Vielleicht ist es der Skrupel vor einem Mißbrauch ihres Vertrauens, wenn du es zu einer detektivischen Untersuchung ausnutzt. Vielleicht ist es auch, weil du glaubst, die Wohnung einer alleinstehenden jungen Frau schon zu kennen, schon auswendig das Inventar aufzählen zu können, noch bevor du dich umsiehst. Wir leben schließlich in einer uniformierten Gesellschaft mit klar definierten Zivilisationsmustern: Die Möbel, die Dekorationselemente, die Sofadecke, der Plattenspieler sind ausgewählt aus einer begrenzten Anzahl vorgegebener Möglichkeiten. Was können sie dir schon groß darüber verraten, wie Ludmilla in Wahrheit ist?
     
    Wie bist du, Leserin? Es ist an der

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