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Wenn ein Reisender in einer Winternacht

Wenn ein Reisender in einer Winternacht

Titel: Wenn ein Reisender in einer Winternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Italo Calvino
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mir ruhen. Gewiß hatte er verstanden, daß ich gerade dabei war, meine Fähigkeit zur Isolierung von Sinneseindrücken am Hals seiner Tochter zu üben. Ich wandte den Blick nicht ab, sei's weil das reizende Bild des zarten Flaums auf der hellen Haut sich meiner unwiderstehlich bemächtigt hatte, sei's weil es für Herrn Okeda ein leichtes gewesen wäre, mein Augenmerk mit einem beliebigen Satz auf etwas anderes zu lenken, was er jedoch nicht tat. Im übrigen hatte Makiko ihr Werk bald verrichtet und stand wieder auf. Ich fixierte einen Leberfleck, den sie links über der Lippe trug und der mir noch einmal etwas von dem soeben gehabten Eindruck vermittelte, freilich schwächer. Makiko warf mir einen kurzen verwirrten Blick zu, dann schlug sie rasch die Augen nieder.
    Am Nachmittag gab es einen Moment, den ich so bald nicht vergessen werde, obwohl ich mir durchaus darüber im klaren bin, daß er, versucht man ihn zu erzählen, kaum weiter bedeutsam erscheint. Wir lustwandelten am Ufer des nördlich gelegenen Teiches mit Frau Miyagi und Fräulein Makiko. Herr Okeda ging allein vor uns her, gestützt auf einen langen weißen Ahornstab. In der Mitte des Teiches waren zwei fleischige Blüten einer im Herbst erblühenden Seerose aufgegangen, und Frau Miyagi äußerte ihren Wunsch, sie zu pflücken, eine für sich und eine für ihre Tochter. Frau Miyagi hatte ihren gewohnten mißmutigen und etwas müden Gesichtsausdruck, aber nicht ohne jenen Grundton von störrischem Eigensinn, der mich den Verdacht hegen ließ, daß in der langen Geschichte ihrer schlechten Beziehungen zu ihrem Gatten, über die soviel gemunkelt wurde, ihr Part nicht immer nur der des Opfers war; und wirklich weiß ich nicht, wer im Kampf zwischen der eisigen Distanziertheit des Herrn Okeda und der unbeugsamen Entschlossenheit seiner Frau am Ende die Oberhand behalten hat. Was Makiko betraf, so trug sie stets eine heiter-sorglose Miene zur Schau, die manche inmitten scharfer Familienkonflikte aufgewachsene Kinder wie eine Abwehr ihrer Umwelt entgegensetzen und die sie, zum jungen Mädchen herangewachsen, behalten hatte und nun auch der Außenwelt entgegensetzte, gleichsam wie um hinter dem Schutzschild einer herben und flüchtigen Fröhlichkeit in Deckung zu gehen.
    Ich kniete mich auf einen Stein am Ufer, beugte mich so weit vor, daß ich den nächsten Stengel der schwimmenden Pflanze erreichen konnte, und zog ihn behutsam zu mir heran, sorgfältig darauf achtend, daß er nicht brach, um derart das ganze Gewächs ans Ufer zu holen. Frau Miyagi und ihre Tochter knieten sich ebenfalls hin und streckten die Hände zum Wasser, bereit, die Blüten zu greifen, sobald sie nahe genug herangekommen sein würden. Das Ufer des Teiches war flach und abschüssig; um sich vorzubeugen, ohne dabei ein zu großes Risiko einzugehen, hielten die beiden Frauen sich knapp hinter mir, während sie, eine zu meiner Rechten, die andere zu meiner Linken, die Arme ausstreckten. Auf einmal spürte ich eine Berührung an einer präzisen Stelle, zwischen Arm und Schulterblatt auf der Höhe der ersten Rippen, genauer, zwei verschiedene Berührungen, eine rechts, eine links. Auf Fräulein Makikos Seite war es ein hartes, wie pulsierendes Pochen, auf Frau Miyagis Seite hingegen ein sanfter, einschmeichelnder Druck. Ich begriff: Dank eines seltenen und erfreulichen Zufalls streiften mich im selben Moment die linke Brustwarze der Tochter und die rechte Brustwarze der Mutter, und ich mußte alle Kräfte zusammennehmen, um diesen unverhofften Kontakt nicht zu verlieren und die beiden zeitgleichen Sinneseindrücke voll zu würdigen durch getrennte Wahrnehmung und Vergleichung ihrer unterschiedlichen Reize.
    »Schiebt doch die Blätter beiseite«, riet Herr Okeda, »dann neigt sich der Blütenstengel euren Händen entgegen.« Er stand über unserer zu der Seerose vorgebeugten Dreiergruppe. In der Hand hielt er seinen langen Stock, mit dem es ihm ein leichtes gewesen wäre, die Wasserpflanze ans Ufer zu ziehen; statt dessen beschränkte er sich darauf, den beiden Frauen jenes Vorgehen anzuraten, das nun den Druck ihrer beiden Körper auf den meinen fortdauern ließ.
    Die beiden Blüten hatten Miyagis und Makikos Hände fast schon erreicht. Ich überlegte rasch: Im letzten Moment des Abreißens könnte ich, wenn ich den rechten Ellenbogen kurz anhob und gleich wieder an die Seite drückte, Makikos kleine und feste Brust ganz unter meine Achsel bekommen. Doch der Siegesjubel über den

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