Wenn ein Reisender in einer Winternacht
mir zu denken gegeben. Vielleicht liest er so intensiv, daß er gleich zu Beginn die ganze Substanz des Romans aufsaugt, so daß für den Rest nichts mehr übrigbleibt. Mir passiert das beim Schreiben: Seit einiger Zeit erschöpft sich jeder Roman, den ich zu schreiben beginne, kurz nach den ersten Seiten, als hätte ich schon am Anfang alles gesagt, was ich zu sagen habe.
Bin auf den Gedanken gekommen, einen Roman zu schreiben, der nur aus lauter Romananfängen besteht. Der Held könnte ein Leser sein, der ständig beim Lesen unterbrochen wird. Er kauft sich den Roman A des Autors Z. Doch er hat ein defektes Exemplar erhalten und kommt nicht über die ersten Seiten hinaus. Er geht in die Buchhandlung, um den Band umzutauschen.
Ich könnte das Ganze in der zweiten Person schreiben: du, Leser. Ich könnte auch eine Leserin einführen, einen fälschenden Übersetzer und einen alten Schriftsteller, der ein Tagebuch führt wie dieses hier.
Aber ich möchte nicht, daß die Leserin auf der Flucht vor dem Übersetzer in den Armen des Lesers landet. Ich werde es so machen, daß der Leser sich auf die Spur des Fälschers setzt, der sich in einem fernen Land versteckt hält, so daß der Schriftsteller mit der Leserin allein bleibt.
Gewiß, ohne eine weibliche Person verlöre die Reise des Lesers an Lebendigkeit: Er muß unterwegs eine andere Frau treffen. Die Leserin könnte eine Schwester haben.
Tatsächlich scheint der Leser sich reisefertig zu machen. Er wird den Roman Auf dem mondbeschienenen Blätterteppich von Takakumi Ikoka mitnehmen, um ihn unterwegs zu lesen.
Auf dem mondbeschienenen Blätterteppich
Die Ginkgoblätter fielen wie feiner Regen von den Zweigen und tupften den Rasen gelb. Ich lustwandelte mit Herrn Okeda über den glatten Steinweg und sagte, ich würde gern die Sinneswahrnehmung jedes einzelnen Ginkgoblattes von der Sinneswahrnehmung aller anderen trennen, frage mich aber, ob das wohl möglich sei. Herr Okeda hielt es für möglich. Die Prämissen, von denen ich ausging und die Herr Okeda wohlfundiert fand, waren die folgenden: Fällt ein einzelnes gelbes Blättchen vom Ginkgobaum und sinkt auf den Rasen, so ist der Eindruck, den man bei seiner Betrachtung hat, der eines einzelnen gelben Blättchens. Fallen zwei Blättchen vom Baum, so folgt das Auge dem Flug der beiden, wie sie einander umtanzen, bald näher, bald ferner, gleich zwei sich jagenden Schmetterlingen, um schließlich auf dem Rasen zu landen, das eine hier und das andere dort. Nicht anders ist es bei dreien, vieren, auch fünfen. Steigt aber die Zahl der fallenden Blätter noch höher, so addieren sich die entsprechenden Einzeleindrücke zu einem Gesamteindruck gleich dem eines stillen Regens und, kaum daß ein Windhauch ihr Niedersinken verzögert, gleich dem eines Flatterns von Flügeln, und endlich, wenn sich der Blick auf den Rasen senkt, gleich dem einer Aussaat von kleinen leuchtenden Flecken. Ich würde nun gern, ohne etwas von diesem Gesamteindruck zu verlieren, das Einzelbild eines jeden fallenden Blattes von dem Moment an, da es in mein Gesichtsfeld tritt, getrennt malten, unvermischt mit denen der anderen, um jedes Blatt einzeln in seinem luftigen Tanz zu verfolgen, bis es sich auf die Grashalme legt. Herrn Okedas Beifallsbekundung ermutigte mich, auf meinem Vorhaben zu beharren. »Vielleicht«, fügte ich an, während ich die Form der Ginkgoblätter betrachtete, kleine gelbe Fächer mit girlandenförmig gekerbtem Rand, »gelingt es mir gar, im Sinneseindruck jedes einzelnen Blattes den Sinneseindruck jeder einzelnen Blattfaser zu isolieren.« Dazu äußerte sich Herr Okeda nicht; schon öfter war mir sein Schweigen Mahnung gewesen, mich nicht in übereilten Mutmaßungen zu ergehen, ohne die nötigen Zwischenschritte vorher geprüft zu haben. Ich nahm mir die Lehre zu Herzen und konzentrierte mein Augenmerk auf die Wahrnehmung der geringsten Sinneseindrücke im Moment ihres ersten Auftretens, wenn ihre Klarheit noch nicht verwoben ist in ein Bündel diffuser Impressionen.
Makiko, die jüngste Tochter des Herrn Okeda, kam und servierte den Tee mit ihren gesetzten Bewegungen und ihrer noch etwas kindlichen Anmut. Als sie vor mir niederkniete, erblickte ich auf ihrem entblößten Nacken unter dem hochgesteckten Haar einen feinen schwarzen Flaum, der sich über die Linie des Rückens fortzusetzen schien. Ich war noch ganz in seine konzentrierte Betrachtung vertieft, da spürte ich plötzlich das reglose Auge des Herrn Okeda auf
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