Wenn Eltern es zu gut meinen
besuchte Dr. Marlene Maron, die Leiterin eines kinderpsychologischen Beratungsdienstes, in ihrem Büro in Burlington, Vermont. 2 Ich wollte mit Dr. Maron sprechen, weil viele Familien der Mittel- und Arbeiterschicht, die Hilfe brauchen, durch ihre Hände gehen. Frau Maron ist eine jugendlich aussehende Frau mittleren Alters mit weichen dunklen Locken, einem warmen Lächeln und einer Nickelbrille. Sie kam unverzüglich auf die Veränderungen zu sprechen, die ihr auffallen: »Ich stelle ein größeres Gefühl eigener Wichtigkeit und mehr Arroganz bei Kindern der Mittelund oberen Mittelschicht fest. Das macht mich neugierig - die Gründe interessieren mich. Meiner Ansicht nach könnte es daher kommen, dass wir meinen, unsere Kinder seien so besonders.« Sie verglich diese Einstellung
mit dem, was sie bei weniger gebildeten Eltern beobachtete. »Eltern aus der Arbeiterschicht scheinen eher eine nüchterne Einstellung zu haben, obwohl auch sie ihre Kinder lieben. Ich fuhr einmal einen kleinen Jungen zusammen mit meiner Tochter zu einem Musikworkshop. Nach dem ersten Tag sagte der Junge weinend: ›Es ist mir zu schwer. Ich will nicht mehr hingehen.‹ Seine Mutter ließ sich gar nicht erst darauf ein. Während ich vielleicht gesagt hätte: ›Es ist wichtig, etwas, was du angefangen hast, auch zu Ende zu bringen‹ oder ›Das Lernen wird dir Spaß machen‹, sagte seine Mutter: ›Wir haben 215 Dollar bezahlt, und du wirst durchhalten. Auch wenn es schwer ist, du schaffst es schon.‹ Und er schaffte es tatsächlich. Er strengte sich an und hatte Erfolg.« Frau Maron glaubt, dass viele Eltern, die wie sie selbst aus der gebildeten Mittelschicht kommen, sich bei ihren Kindern nicht »unbeliebt« machen wollen. Sie wollen keine Autoritätspersonen sein, die Grenzen aufzeigen und Regeln durchsetzen.
Was Frau Maron jedoch speziell beschäftigte, war, wie man mit Besonderheit umgehen soll, wenn Kinder hochbegabt sind und andere schulisch, musikalisch oder sportlich überragen. Sie führte ihren achtjährigen Sohn an, einen allem Anschein nach sehr aufgeweckten Jungen, der sich seiner Intelligenz bewusst ist, ohne eingebildet zu sein. »Mein Sohn ist sehr intelligent. Er weiß das, aber ich glaube nicht, dass es ihn eingebil det macht. Er nimmt einfach realistisch wahr, dass er Dinge kann, die andere Kinder nicht können. Er ist kein Angeber, doch er sagt mir, dass er sich der Unterschiede bewusst ist. Ich weiß nicht recht, wie ich seine Leistungen anerkennen soll, ohne sie überzubewerten.«
Wie andere hochbegabte Kinder muss sich auch Frau Marons Sohn an die Zehn-Jahres-Regel von Peterson und Seligman halten: Er braucht Beharrlichkeit, um seine Sache zu beherrschen, er muss emotionale Intelligenz entwickeln, um andere zu führen, und er muss lernen, negatives Feedback konstruktiv zu verarbeiten, wenn er als Erwachsener seine Begabungen erfolgreich einsetzen will. Leider neigen viele Eltern hochbegabter Kinder dazu, die Begabungen der Kinder zu fördern, statt ihnen zu helfen, ihre Beziehungsfähigkeit und ihre inneren Stärken zu entfalten. Während viele Kinder intelligent und leistungsfähig sind, haben nur eine Handvoll so überragende Talente, dass ihnen automatisch Anerkennung und Bewunderung auf einem bestimmten Gebiet sicher sind. Um Erfolg zu haben, werden die meisten lernen müssen, fleißig zu sein, einen kooperativen Umgang mit Älteren und Gleichaltrigen zu pflegen, andere zu führen und die richtigen Entscheidungen auf ihrem Weg zu treffen. 3
Es gibt reihenweise Untersuchungen, die belegen, dass Menschen, die gute Beziehungen haben, am glücklichsten und erfolgreichsten im Leben sind. 4 Um auf einem Gebiet führend zu sein, muss sich ein Mensch in den entsprechenden Gruppen engagieren, gute Beziehungen innerhalb dieser Gruppen unterhalten und lernen, Aufgaben zu delegieren. Kinder brauchen, wie begabt sie auch sein mögen, ein Mindestmaß an emotionaler Intelligenz, um ihre eigenen Talente zu realisieren. Emotional intelligente Führung ist definiert durch realistische Selbsteinschätzung (die eigenen Stärken und Schwächen kennen), Selbstbeherrschung (ein gekonnter Umgang mit den eigenen Emotionen in der Gruppe) und gutes Einfühlungsvermögen für andere.
5 Wenn man ein Kind mit besonderer Aufmerksamkeit und Angeboten auf eine Weise überhäuft, die signalisiert: »Du bist besser als andere«, kann das die emotionale Intelligenz beeinträchtigen, die das Kind entwickeln muss, um sich auf seinem Gebiet
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