Wenn Eltern es zu gut meinen
hervor zutun. Das Gefühl der eigenen Wichtigkeit und Anspruchsdenken können zu bedeutenden Hindernissen auf dem Weg zu Autonomie und Erfolg werden, ganz gleich, ob ein Mensch überragende Begabungen hat oder nicht.
Unlängst wurde in einer Reihe von Studien auch das Mitgefühl mit sich selbst als Bestandteil emotionaler Intelligenz aufgeführt; möglicherweise ist es für die Entwicklung von Begabungen und Fähigkeiten sogar noch wichtiger als ein gutes Selbstwertgefühl. Mitgefühl mit sich selbst besteht aus drei Komponenten: gütig und verständnisvoll, anstatt kritisch sich selbst gegenüber zu sein (Freundlichkeit mit sich selbst); die eigenen negativen Erfahrungen als natürlichen Bestandteil des Menschseins zu betrachten (was ich hier als »Normalität« bezeichnet habe) und eine achtsame Gelassenheit zu pflegen, statt sich zu sehr mit schmerzhaften Gedanken und Gefühlen zu identifizieren (achtsame Akzeptanz). 6 Mitgefühl mit sich selbst erlaubt es Menschen, Hindernisse zu bewältigen und eigene Grenzen zu akzeptieren, die sonst möglicherweise ihre dauerhafte Hinwendung zu einem Projekt oder einer Beziehung blockiert hätten. Um emotionale Intelligenz und Mitgefühl mit sich selbst bei Kindern zu fördern, müssen wir ihnen helfen, die Vielfalt der Fähigkeiten und Fertigkeiten zu würdigen, von denen die menschliche Gemeinschaft getragen wird.
Aufgrund der kindlichen Egozentrik mag es einem
intelligenten Kind so vorkommen, als »wüsste es alles«, doch haben Eltern und Lehrer viele Möglichkeiten, Kindern zu zeigen, dass sich ihre Intelligenz nur auf bestimmte Gebiete und Tätigkeiten bezieht. Ich weiß, wie verblüfft ich als Kind beispielsweise war, als ich sah, welche Intelligenz notwendig ist, um ein Auto zu reparieren - etwas, was meine Cousins auch ohne höhere Schulbildung machten. Selbst als Glatte-Einser-Schülerin begriff ich nicht, wie ein Motor funktionierte oder wie man ein Auto reparierte. Der heutige Trend scheint jedoch in die umgekehrte Richtung zu gehen: Man hält Kinder dazu an, nur das zu entwickeln, worin sie gut sind.
Wie Marlene Maron warnend sagte: »In bestimmten Kreisen drängen Pädagogen Kinder dazu, Klassen zu überspringen und sich besondere Aufmerksamkeit für ihre Begabungen zu verschaffen. Beispielsweise habe ich das Argument gehört, man solle hochbegabte Kinder mit intellektuell Gleichrangigen zusammen bringen, notfalls auch mit Älteren. Man glaubt, dass die dadurch erzielte Lernbeschleunigung positive Folgen für intellektuell begabte Kinder hat, ohne dass sie einen Preis für die Trennung von ihren Altersge nossen zahlen müssen. Dieser Trend hat für einige Kinder beängstigende Folgen; im Großen und Ganzen glaube ich nicht, dass man eine gesunde Entwicklung fördert, wenn man Kinder auffordert, ihre Altersgenossen zu überholen.« 7 Von intellektuell frühreifen Kindern zu erwarten, die emotionalen und sozialen Ansprüche Älterer zu meistern, erweist ihnen unter Umständen keinen guten Dienst, besonders nicht in der Pubertät.
Hochbegabt und gefährdet
Ich pflichte Dr. Marons Meinung bei, doch viele Eltern von intelligenten Kindern mit sehr guten schulischen Leistungen oder Erfolgen außerhalb der Schule in Musik, Sport oder Kunst wünschen sich besondere Maßnahmen, um das Talent der Kinder zu fördern. Leider ist ihnen nicht klar, welche Rolle emotionale Intelligenz und Mitgefühl mit sich selbst beim Erfolg spielen. Im Jahre 2005 stand ein ausführlicher Artikel im New York Times Magazine mit dem Titel »Kann man Genialität tatsächlich heranzüchten?« 8 Die Autorin Ann Hulbert schrieb nicht nur über die Fürsprecher und Förderer von hochbegabten Kindern und die teuren Programme, die sie sponsern, sondern erwähnte auch die Ergebnisse einer Reihe von Langzeitstudien, die belegen, dass kein nachweisbarer Zusammenhang zwischen Genialität im Kindesalter und besonderen Leistungen im Erwachsenenalter besteht. Tatsächlich gibt es große Erfinder, wie Thomas Edison, und Wissenschaftler, wie Albert Einstein, die als Kinder keine Frühreife zeigten. Wie im Artikel angemerkt wurde, hat der Journalist Malcolm Gladwell kürzlich davor gewarnt, Frühreife generell als Garantie für au ßergewöhnliche Leistungen im Erwachsenenalter an zusehen.
Meiner Ansicht nach entwickeln sich die zwischenmenschlichen und psychischen Faktoren, die wir für Selbstsicherheit, Autonomie, Mitgefühl mit uns selbst und emotionale Intelligenz brauchen, allmählich und mit der Zeit
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