Wenn Eltern es zu gut meinen
in einer Atmosphäre der Kooperation. Ohne diese Faktoren können besondere Begabungen zu einer Last werden. Sie trennen Kinder von anderen. Manchmal
kann die »Besonderheit« ein Kind oder - noch häufiger - einen Jugendlichen überfordern.
Im Jahre 2006 veröffentlichte die Zeitschrift New Yorker die tragische Geschichte eines begabten 14-Jährigen, der sich mit einem Gewehrschuss tötete. 9 Brandenn Bremmer war bei fast allen in seiner Umgebung und in der Gegend von Nebraska, wo er aufwuchs, als Wunderkind bekannt. Er sah gut aus, war begabt, offensichtlich überaus charmant und wurde von seinen Eltern, Patti und Martin, über alle Maßen geliebt. Auf Empfehlung einer Reihe von Spezialisten wurde Brandenns IQ mehrfach getestet. Nachdem man ihn als hochbegabt eingestuft hatte, nahm er an einer Reihe von Förderprogrammen für Kinder mit hohem IQ teil. In der Schule nach vorn katapultiert (er übersprang die fünfte bis achte Klasse), besuchte Brandenn sowohl die Highschool als auch schon einige College-Kurse, bevor er sich umbrachte.
Nach seinem Tod stellte sich heraus, dass er ein paar Enttäuschungen im Fach Musik an der Colorado State University und in Biologie am Mid-Plains Community College erlebt hatte. Kurz bevor er sich erschoss, schrieb Brandenn eine E-Mail an eine ebenfalls hochbegabte Freundin, zu der er gesagt hatte: »Ich bin maßlos deprimiert.« Sie wollte wissen, was er damit meinte, denn, wie sie sagte: »Glaub mir, ich kenne das.« Brandenn antwortete:
Ich weiß nicht, warum ich so deprimiert bin, vorher hatte ich das nur hin und wieder mal, und ich war einfach nur entmutigt. Aber jetzt habe ich es konstant, und es ist wie: »Wozu lebe ich überhaupt noch?« Ich weiß nicht, vielleicht verbringe ich einfach nicht genug Zeit
mit guten Freunden wie dir. Als ob das ginge. Nicht hier am Ende der Welt. Zumindest gibt es hier eine Familie in der Nähe, die nicht aus »Cowboys« oder Vollidioten besteht, mit der ich mich treffen kann. 10
Unglücklicherweise hatte Brandenn das Gefühl, besser als andere zu sein. Er suchte verzweifelt nach Kontakten, die er in seiner isolierten ländlichen Umgebung brauchte; ihm war nicht klar, dass er zu den meisten Menschen eine Beziehung hätte aufnehmen können. Wenn man jedoch einige Zeit auf der Welt ist und ein Quäntchen Einfühlungsvermögen hat, entdeckt man, dass es keine »Vollidioten« gibt (oder dass jeder von uns ein Vollidiot ist). Alle Menschen haben ihre Stärken und Schwächen. Was Menschen letztlich unterscheidet, sind ihr Anstand und ihre inneren Stärken, nicht ihre speziellen Begabungen. Ein pubertierender Jugendlicher, dessen Ichgefühl sich gerade voll entfaltet, wird oft von der Last erdrückt, »besonders« zu sein. Wenn ihm die vermeintlichen Erwartungen der ihn idealisierenden Menschen bewusst werden, während er gleichzeitig ein akutes Bedürfnis nach Freundschaft und Gemeinschaft verspürt, fühlt er sich möglicherweise isoliert oder gerät sogar in Panik.
Kinder unter zehn können die Identität, die man ihnen zuschreibt, nicht wirklich infrage stellen. Wenn wir, bevor wir eine eigene Sicht von uns haben, wiederholt hören oder nahegelegt bekommen: »Du bist so besonders«, »Du bist so klug« oder »Du bist besser als andere«, werden wir versuchen, diese Annahmen zu erfüllen, sobald das Über-Ich in der Spätpubertät entwickelt ist. Dann meinen wir schließlich wie viele der jungen Erwachsenen, die ich in diesem Buch vorgestellt
habe, dass wir anderen überlegen sind oder es sein sollten, und diese Überzeugung wird zu einer Blockade und der Ursache negativer Selbsteinschätzung, wenn wir mit den normalen Schwierigkeiten des Lebens und unserer Versagensangst konfrontiert sind.
Erst in der Pubertät haben wir die Chance eines eigenen Standpunkts, der es uns voll und ganz möglich macht, uns im Vergleich mit anderen wahrzunehmen und zu spüren. Von außen betrachtet, erscheint ein kleines Kind einem Erwachsenen freier und kreativer als ein vom Ichgefühl gesteuerter Jugendlicher. Aber von innen betrachtet, hat ein kleines Kind keine Wahl, als die ihm zugeschriebene Identität naiv zu übernehmen. Die emotionale und physische Abhängigkeit und auch die noch in der Reifung begriffene kognitive Entwicklung halten ein kleines Kind im Bann der Ideale, Scham gefühle, Fantasien und Einbildungen der Eltern. Ein Leben lang geistert die erste Identität, die ihm zugeschrieben wurde, durch die Kulissen, wenn sie nicht sogar als Darsteller die
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