Wenn er mich findet, bin ich tot
riskieren«, sagt Kolja.
»Er würde sich ja nicht selber die Hände schmutzig machen. Unfälle können jeden treffen, die passierenschnell mal. Und außerdem würde ich eher in der Psychiatrie verfaulen als er im Knast.«
»Er ist gefährlich, solang er draußen ist. Er muss verurteilt werden, Tilly, nur dann bist du sicher.«
»Sollte Goedel verurteilt werden, verliert er alles, was er hat! Glaubst du echt, er würde es zulassen, dass ich aussage, dass er mich missbraucht und Julie auf dem Gewissen hat und mich umbringen wollte? Und dass er mich lebendig begraben hat?« Ich sehe Kolja an. »Wenn er mich findet, bin ich tot. Das steht fest.«
Eben erst ist die Bombe geplatzt und schon hängt sich Form-Beauty® an die Sache ran. In den regionalen Nachrichten auf RBB berichtet die Moderatorin von »unsauberen Geschäftsabwicklungen beim Verkauf des Herrenhauses Flusshorst.«
Paolo kommt rein, wirft sich aufs Küchensofa und lauscht.
»Bis zum 30. März 2013 war der Besitz auf Alma Goedel eingetragen, die am 30. März 2004 im Alter von fünf Jahren zusammen mit ihrem Kindermädchen verschwand. Neun Jahre nach ihrem Verschwinden wurde auf Antrag ihres Vaters eine Todeserklärung veranlasst und der Besitz verkauft. Nun hat man die Leiche von Julie Thompson, dem Kindermädchen von Alma Goedel, gefunden. Hat Victor Georg Goedel ein Mordmotiv?«
Es folgt die Ausführung eines Anwalts zu § 3, Absatz 2 des Verschollenheitsgesetzes: »Vor dem Ende des Jahres, in dem der oder die Verschollene das fünfundzwanzigste Lebensjahr vollendet hätte, darf er oder sie nach Absatz 1 nicht für tot erklärt werden.«
»Für Geld kann man alles kaufen«, sagt Paolo und hautauf den Tisch. »Goedel hat Schiss, dass Tilly sich an seine Brutalität und an den Mord an Julie erinnert und er dafür in den Knast wandert, und er will das Schloss verkaufen. Das sind schon zwei Motive für die Mordversuche an Tilly im Camp. Sandra haben sie das Leben gekostet und dich beinah auch.« Paolo sieht mich an. »Vermutlich hat er sich danach zurückgehalten, damit er nicht im Zusammenhang mit dem Verkauf von Flusshorst in die Schusslinie kommt. Stellt dir vor, er hätte dich umgebracht, und die Krahs erzählen im Suff herum, dass du gar nicht ihre Tochter bist. Goedel muss ja nicht nur fürchten, dass du redest.«
Mir schlagen seine Worte auf den Magen.
Kolja will von Paolo wissen: »Was meinst du, sollen wir zur Polizei gehen oder nicht?«
Keine Frage. Die Polizei ist für uns keine Option. Nicht nach unseren Erfahrungen. Paolo schüttelt den Kopf.
»Bis jetzt hat unsre Hinterhalt-Taktik ganz gut funktioniert«, sage ich.
Paolo stimmt zu: »Wir warten ab, was passiert, und passen aufeinander auf.«
»Und wenn nötig, hauen wir ab«, sagt Kolja.
Unsere Hoffnung, dass Goedel ad hoc ins Gefängnis wandert, erweist sich als unrealistisch. Die Medien setzen ihm zu und zwar in mehrfacher Hinsicht: als schamlosem Boni-Banker in Zeiten der Krise, im Zusammenhang mit dem Verbrechen an Julie Thompson und dem spurlosen Verschwinden seiner Tochter. Die Spekulationen um das Herrenhaus Flusshorst in der Berichterstattung schüren den Eindruck, dass Goedel gierig und korrupt genug fürGewaltverbrechen ist. Im Internet prasselt ein Shitstorm auf ihn hernieder. Goedel ist in Schwierigkeiten, aber das reicht noch nicht, denn er bemüht einen beeindruckenden Stab an erfolgreichen Anwälten.
Die Nachrichten bestimmen unsere Tage, bis auf den 30. Juli, da feiern wir Koljas sechzehnten Geburtstag mit einer großen Gartenparty. Von mir kriegt er einen zweiten Helm, der nicht nur Mia, Julia, Jana, Hanna … passt, sondern zufällig auch mir. Kolja freut sich sehr.
Ich stehe am Grill, öle vor mich hin und erfreue mich aufgrund meiner Position einer gewissen Aufmerksamkeit. Dafür lass ich nichts anbrennen.
»Den Fleischlappen da und ein Würstchen, bitte. Danke, Tilly«, sagt Julia, die Förstertochter.
Alle haben gute Laune. Der Chef und ich schleppen volle Getränkekisten hin und leere weg. Spät in der Nacht lagern Kolja, Paolo und ich auf Gartenliegen und sehen in den Sternenhimmel.
Erst da fällt mir Goedel wieder ein.
26
Das Alma-Marter-Material
wächst und füllt einen großen, blauen Ordner. Paolo schiebt ihn mir über den Küchentisch zu. »Lies.«
»Nein. Nein. Nein. Mir reicht es, dass ihr es wisst.«
»Goedel ist dein Vater …«, hebt Kolja an.
Kolja und Paolo wechseln sich dabei ab, jeden seiner Schritte im Auge zu behalten.
»Und? Ich
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