Wenn es daemmert
meine … Sie melden sich doch noch einmal bei mir, wenn Sie Ihre Sachen … Dann sprechen wir kurz miteinander, nicht wahr.«
Dann war er gegangen, so schnell, als ob er Angst gehabt hätte, dass Mina auch etwas dazu sagen könnte.
Im vergangenen Jahr hatte sie darüber nachgedacht, wie sie sich ein neues Leben aufbauen konnte. Mit weniger Stress und mehr Ruhe und Kontinuität. Ein Vertrag über drei Jahre Unterrichtstätigkeit an der ältesten schottischen Universität, etwas abgelegen von den Großstädten, zwei große Nordseestrände, außerhalb der Ortschaft Felder und Wiesen. Eine konstante Aufgabe für drei Jahre. Frische Luft und lange Spaziergänge. So hatte sie es sich vorgestellt. Der Traum war nach wenig mehr als zwei Wochen geplatzt, und das nur, weil sie sich auf die Bekanntschaft mit einem Mann eingelassen hatte, der ihrer Eitelkeit geschmeichelt hatte. Und sie hatte seiner geschmeichelt.
Es stimmte nicht, dass man die großen Fehler nur einmal im Leben machte und daraus lernte. Das gebrannte Kind scheute keineswegs das Feuer. Nicht, wenn es Mina hieß und auf der Suche nach Zuneigung war.
Mina sah noch einmal durch den Spalt, sah die Journalisten und dachte: Es ist sowieso alles vorbei. Sie zog die Vorhänge auseinander, öffnete die Fenster und winkte hinunter. Dann nahm sie ihre Digitalkamera aus der Handtasche und fing an, die Journalisten zu fotografieren. Sie hörte, wie sie Fragen nach oben riefen, wie die Fotoapparate klickten. Mina drehte ihnen den Rücken zu und begann, die Essays der Studenten zu ordnen. Sie schrieb gerade Notizen für Professor Scott, als das Telefon klingelte.
Das British Council in Wien war auf der Suche nach Margaret. Ihr Handy sei ausgeschaltet, sagten sie ihr. Sie erklärte der Stimme am anderen Ende der Leitung, von der sie nicht genau sagen konnte, ob es sich um eine Frau oder einen Mann handelte, dass ihre Mutter in Edinburgh sei, um sich um den Nachlass ihres kürzlich verstorbenen Vaters zu kümmern.
Als sie wieder aufgelegt hatte, dachte sie an Margarets kurze und kryptische Nachricht, die sie heute Morgen in der Küche gefunden hatte. Sie vermisste ihre Mutter. Margaret war nie wirklich da gewesen, wenn Mina sie gebraucht hatte. Hinterher, ja. Aber in den Momenten, in denen es etwas bedeutet hätte, war ihre Mutter stets hunderte, wenn nicht tausende Meilen entfernt gewesen. Und heute war sie in Edinburgh und hatte ihr Handy ausgeschaltet. Vielleicht vermisste sie gar nicht Margaret, vielleicht vermisste sie einfach nur eine Mutter. Etwas, was sie nie gehabt hatte. Kein Wunder, dass Mina gleich mit jedem Kerl ausging, der ihr sagte, sie sei toll.
Mina komplettierte ihre Notizen für Professor Scott, dann begann sie, die wenigen persönlichen Sachen, die sie in ihrem Büro – oder vielmehr in Scotts Büro – hatte, zusammenzusuchen.
Die Schubladen des Schreibtischs waren nicht richtig geschlossen. Sie schob sie immer ganz zu. Mina zog eine Schublade auf und erkannte schnell, dass einige der Papiere darin durcheinandergeraten waren. Jemand musste ihren Schreibtisch durchsucht haben.
Sie stand auf und sah sich die Bücherregale an. Wer auch immer hier etwas gesucht hatte, er hatte sich beim Zurückstellen der Bücher zwar bemüht, sie gerade und ordentlich in den Schrank zu räumen, hatte sich aber die Buchrücken nicht richtig angesehen: Restauration nach Klassizismus. Dryden nach Pope. Und Chaucer neben Joyce. Scott hätte seine Bücher niemals so einsortiert, er ordnete grundsätzlich alles nach Epochen, innerhalb der Epochen nach Gattung und innerhalb der Gattungen alphabetisch.
Vielleicht war aber auch nur einer der Studenten hier gewesen und hatte dringend ein Buch für eines seiner Paper gesucht. Oder ein Kollege hatte etwas nachsehen müssen und war in Eile gewesen. Sie würde Leigh fragen, ob er etwas darüber wusste.
Sie sah noch einmal aus dem Fenster. Der Anblick, der sich ihr bot, war unverändert. Nein, nicht ganz: Die Journalistentraube war gewachsen. Die Paparazzi aus London und Dublin waren mittlerweile eingetroffen.
Wäre es nicht ein Weltklassegolfer gewesen, den man ermordet hatte, keiner von diesen Geiern wäre hier. Sie war sich sicher, dass die wenigsten dieser so genannten Journalisten vor drei Tagen überhaupt gewusst hatten, wer sie war. Denn die meisten von ihnen arbeiteten nicht unbedingt für die Kulturseiten ihrer Zeitungen.
Meine Bücher werden sich jetzt wieder großartig verkaufen, dachte sie zynisch, und als wäre
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