Wenn es daemmert
bekannten Journalisten, die gestern auch auf Douglas Roths Party gewesen waren, ihr alle Fotos zukommen zu lassen. Eine Stunde später saß Isobel am Laptop der Wirtin des »Harbour View«, dankte Gott, dass es in diesem Nest eine schnelle Internetverbindung gab und die geschäftstüchtige Laura-Ashley-Liebhaberin einen neuen, leistungsstarken Rechner besaß. Doch auf keinem Bild war auch nur ein Schatten von Sandra Robertson zu sehen. Der Uhrzeit auf dem Zugticket nach zu urteilen, war sie gegen halb zehn am Busbahnhof in St. Andrews angekommen. Die Fotos, die Isobel vorlagen, deckten fast den gesamten Zeitraum der Party ab, von den ersten Gästen bis zum Eintreffen der Streife um eins.
Isobel hatte sich geirrt. Sandra Robertson war nicht auf der Party gewesen. Eine andere Möglichkeit war, dass Sandra die Golfhotels abgeklappert hatte, um in den Bars diskret ihre Visitenkarten zu verteilen.
»Ich fahre zurück nach St. Andrews«, teilte sie den Kollegen mit, die immer noch im Vorderzimmer saßen und mittlerweile vermutlich schon mit dem halben Ort Tee getrunken hatten. Sie rief nach DC Leslie, bugsierte ihn in ihr Auto und fuhr mit ihm zurück.
Weitere drei Stunden später hatten sie in drei Hotels vier Männer gefunden, die bezeugen konnten, dass Sandra Robertson am vergangenen Abend zwischen zehn und elf Uhr alleine in der jeweiligen Hotelbar gewesen war, Gin Tonic getrunken und einigen Herren ihre Visitenkarte zugesteckt hatte, wenn sie auf dem Weg zur oder von der Toilette waren. Einer der Männer, ein Gast des Bertrand-Hotels, sagte aus, dass sie bei einem italienischen Gast Glück gehabt hatte. Dieser hatte sich längere Zeit mit ihr unterhalten und ihr einen Drink spendiert.
Das Bertrand-Hotel war eines der kleineren Hotels an The Scores. Es befand sich in Familienbesitz und warb mit Meeresblick und individuell gestalteten Zimmern. Der Italiener hieß Andrea Manzi und war dem Personal bereits unangenehm aufgefallen. Mit der britischen Angst vor Elektrizität im Badezimmer nicht vertraut, hatte er den Schalter, der das warme Wasser in der Dusche regelte, nicht gefunden und eines der Zimmermädchen angebrüllt, beleidigt und mit Handtüchern beworfen. Seine Entschuldigung einige Stunden nach dem Vorfall hatte die Frau nicht annehmen wollen, was einen neuerlichen Wutanfall auslöste.
Den Italiener fanden sie auf einem der Golfplätze, von wo aus er die Flucht ergriff, als Isobel ihm verriet, was sie und DC Leslie beruflich machten. Leslie, zwanzig Jahre jünger und deutlich besser im Training als der Italiener, fing den Flüchtenden nach wenigen hundert Yards ein, indem er ihn zu Boden warf. Nach den Gründen für seine Flucht befragt, gab der Italiener zu, gestern mit einer Prostituierten geschlafen zu haben, und erklärte, dass er sich nicht sicher sei, ob Prostitution in Großbritannien erlaubt wäre. Man hatte ihn erst letztes Jahr in Schweden wegen einer vergleichbaren Sache verhaftet. Manzi gab an, Sandra hätte kurz vor Mitternacht sein Hotelzimmer verlassen, aber nichts über ihre weiteren Pläne verlauten lassen.
Als sie Manzis BMW durchsuchten, fanden sie diesen blitzsauber, da er ihn erst heute Morgen hatte reinigen lassen, wie er zugab. Trotzdem fischte Leslie ein langes blondiertes Haar vom Sitz, das von Sandra stammen konnte.
»Wir sind kurz zu einem Supermarkt gefahren, um Kondome zu kaufen«, rief Manzi, der stärker schwitzte als nach einem Marathon.
»Sie hatte Kondome in ihrer Handtasche«, sagte Isobel.
» Ma si, certamente! Weil wir welche gekauft haben!«
»Die Kondome in Sandras Handtasche sind von der Sorte, die der National Health Service an Prostituierte verteilt. Es gibt sie nicht im freien Verkauf.«
Manzi wedelte mit beiden Händen in der Luft herum. »Ich wollte ganz besondere!«, rief er. »Fragen Sie in dem Supermarkt! Da hat man uns doch gesehen! Es war nicht sehr voll, es war kurz nach elf Uhr!«
»Mr Manzi, wir werden dort nachfragen. Aber Sie sollten sich dringend um rechtlichen Beistand kümmern«, sagte Isobel zu ihm. »Ich kümmere mich um einen Übersetzer. Ich muss sicherstellen, dass Sie ganz genau wissen, warum wir uns mit Ihnen unterhalten.«
Berlin, August 1949
»Er soll dir Geld geben, damit du es wegmachen lassen kannst. Hast du verstanden?«
Und als sie schwieg, wurde die Tante zum ersten Mal in den vier Jahren, die sie bei ihr wohnte, ganz weich. »Meine nichtsnutzige Schwester hat dir nie etwas über Männer und Frauen
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