Wenn es daemmert
durchstreifte und hier und da ihre Karte fallen ließ. War Sandra sich bewusst gewesen, wie wenig sie in diese Welt passte? Hatte sie sich Gedanken über ihr billiges Outfit, ihr unpassendes Styling gemacht?
Sandra hatte keinen Zuhälter gehabt. Sie hatte sich selbst um Kundschaft gekümmert, um sich und ihre Tochter über die Runden zu bringen. Sandra hatte einfach ein besseres Leben gewollt und war sich nicht zu schade gewesen, es auf diesem Weg zu probieren. Vielleicht hatte sie sich hier nicht nur nach Kundschaft umgesehen, um schneller mehr Geld zu verdienen, sondern auch, weil sie gehofft hatte, die Männer seien netter, hätten bessere Manieren, würden sie besser behandeln. Vielleicht hatte sie sogar das Märchen geträumt, dass einer ihrer Kunden sie heiraten würde. Nun war sie von einem ihrer Kunden getötet worden. Und Isobel war sich sicher, dass es einer jener neuen, wohlhabenden Kunden gewesen war, in die Sandra so große Hoffnungen gesetzt hatte.
Sie war zurück zum Sheldons-Hotel gegangen und sah wieder durch die Fenster. Sie sah an sich herunter, bewertete kurz ihre schwarzen Sneakers, ihre ausgebeulte schwarze Stoffhose und ihre schwarze Bluse unter der Jeansjacke, stufte sich als völlig unangemessen und auffällig billig gekleidet ein, holte tief Luft und schritt die Stufen zum Hoteleingang hinauf.
Am nächsten Morgen, nach einer erfolglosen Nacht in den Hotelbars und viel zu wenig Schlaf, erwartete Isobel auf dem Revier eine Neuigkeit, die sie als klaren Knick in ihrer Karriereplanung empfand.
»Wieso bin ich nicht mehr bei dem Matthew-Barnes-Fall dabei?«, fragte sie ungläubig.
»Sergeant, Sie haben genug mit der Nutte aus Dundee zu tun. Wenn Sie den Italiener festgenagelt haben, kommen Sie wieder«, sagte Brady und rieb sich geistesabwesend seinen Bauch. »Ich will heute Abend Ergebnisse sehen. Wir können den Pizzabäcker nicht für immer festhalten, und sobald der hier rausmarschiert, ist er schneller untergetaucht, als wir bei den Grenzbehörden anrufen können.«
Sie wusste, dass er Recht hatte. Heute würde Manzis Anwalt kommen, zusammen mit einem vereidigten Übersetzer, und sie würden noch einmal alles durchgehen. Isobel hatte das nagende Gefühl, dass sich nichts Neues ergeben würde, schon gar nicht, wenn ein gut bezahlter Anwalt, der extra aus London angeflogen kam, danebensaß.
Frustriert ging sie zu ihrem Schreibtisch zurück, als ihr Leslie zurief: »Mrs Hepburn für DS Hepburn!«
Sie nahm den Telefonhörer und hörte zwei Minuten lang verwundert zu. Dann schnappte sie sich ihre Jacke und rief Garreth Leslie zu: »Ich bin Zeugen befragen. Ruf mich an, wenn Manzis Anwalt da ist.«
»Was denn, ohne mich?«, fragte Leslie beleidigt. Sie zwinkerte ihm zu, sodass er dachte, sie würde sich nur für einen Kaffee zurückziehen, weil sie gestern die halbe Nacht gearbeitet hatte, während er kuschelig mit Frau und Kind vorm Fernseher hatte liegen dürfen. Er grinste. »Alles klar, Sergeant.«
Ihre Mutter nahm gerade die Stühle von den Tischen, als Isobel ins New Inn kam. »Den ganzen Tag hab ich versucht, dich zu erreichen«, sagte Róisín Hepburn, und Isobel hob verwundert die Augenbrauen, denn Vorwürfe waren gar nicht die Art ihrer Mutter.
»Ich habe bis nach Mitternacht gearbeitet«, erklärte Isobel. »Warum hast du mir keine Nachrichten hinterlassen?«
Róisín zuckte die Schultern. »Ich dachte, ich erwische dich schon irgendwann. Hab ich jetzt ja auch.« Wenn sie mit ihrer Tochter alleine war, kam ihr irischer Akzent durch. Isobel hatte sich immer gefragt, woran das lag, und entschieden, dass es ein Zeichen von Vertrautheit war. Anders als die meisten Menschen verband sie mit dem Belfaster Dialekt Wärme und Geborgenheit.
»Deine Freundin ist doch im Krankenhaus, na, aber das weißt du sicher.«
»Meine Freundin?«, fragte Isobel verwundert.
»Das Mädchen, mit dem du hier warst. Dem Jungen hab ich schon Bescheid gesagt. Der stand völlig verzweifelt vor dem Haus und hat geheult.«
Róisín merkte, dass ihre Tochter keine Ahnung hatte, wovon sie sprach, und erzählte ihr, was sie wusste. Isobel wollte es erst nicht glauben, sie rannte sogar aus dem Pub und zu Minas Haus, um es sich anzusehen, und als sie wieder zurückkam, verstört und vor allem zutiefst verwundert darüber, dass Brady ihr nichts darüber gesagt hatte, erklärte ihre Mutter: »Ich wollte das Mädchen gestern im Krankenhaus besuchen, aber sie war nicht mehr da. Sie hat sich selbst
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