Wenn es dunkel wird im Märchenwald ...: Aschenbrödel
zu einer der anderen Escortagenturen. Ein bisschen Spaß, was braucht man mehr?“
„Ein Kleid.“
„Oh, bitte, das ist ja wohl das kleinste Problem. Hier gibt es genügend Frauen im Haus, die dir was Hübsches leihen können. Komm schon, sag ja.“
Sie sagte ja, das erste Mal in all den Jahren würde sie als maskierter Gast auf den Halloweenball ihrer Stiefmutter gehen und dieser Hauch des Verbotenen kribbelte wohlig unter ihrer Haut. Die zierliche Sunny lieh ihr ein rotes langes und sehr eng anliegendes Samtkleid. Roxanne, eine rassige Polin mit langem flachsblonden Haar, steuerte Strapse und schwarze Seidenstrümpfe bei und Lilly, die hauseigene Lolita, gab ihr eine rote Seidenmaske mit glitzernden Strasssteinchen und Federn, dazu lange Satinhandschuhe, die bis zu den Oberarmen reichten. Joy stand vor dem großen Wandschrankspiegel und erkannte sich kaum mehr. Roxanne puderte ein letztes Mal ihr Gesicht ab, als Leonie neben Joy stehen blieb und leise pfiff.
„Okay, zieh dich sofort wieder um.“ Sie lachte leise über ihren Scherz und verschränkte die Hände hinter ihrem Rücken.
Joy hob das bodenlange Kleid. „Ich hab aber keine passenden Schuhe.“
Lilly kicherte und betrachtete diese kleinen zierlichen Füßchen eingehend.
„Wo gehst du sonst kaufen? Kinderabteilung?“
„Größe fünfunddreißig, die müssten passen.“
Leonie stellte die roten kleinen Samtschuhe neben Joy auf den Boden. Das Preisschild war noch eingeklebt in die Pumps.
„Das kann ich nicht annehmen.“
„Und ob du kannst. Die Schuhe haben mich förmlich im Schaufenster angebettelt, dass ich sie mitnehme. Mir sind sie zu klein und zurückbringen geht nicht. Barfuß kannst du auch nicht zum Ball gehen, also …“
Zögerlich schlüpfte sie in die Schuhe und drehte sich langsam zu den vier Frauen um, die sich auf dem Bett rekelten.
„Und, was sagt ihr?“
„Sie werden dir sabbernd hinterherrennen. Ladies, ich glaube, wir haben die Nacht frei.“
Das Gelächter der Frauen drang durch das ganze Haus.
Wäre die Villa nicht halloweentypisch geschmückt mit Girlanden aus Papierkürbissen, Totenköpfen, Hexenfratzen und Geistern, hätte man glauben können, dieser Ball habe einen steifen, aber durchaus eleganten Anlass. Nur wenige der Frauen waren kostümiert, trugen jedoch sehr figurbetonte Abendkleider zu Hasenohren, Katzenmasken oder was sie sonst darstellen wollten. Das Büfett war üppig und mit sehr exklusiven Halloweenspeisen versehen. Der Champagner war durch Lebensmittelfarbe blutrot oder krätzgrün gefärbt und leise düstere Orgelmusik drang durch den Eingangsbereich des Gentlemen Clubs.
Lachend und kichernd traf eine Gruppe Frauen ein und Joy schlüpfte aus den Schatten und gesellte sich dazu, als gehöre sie zu ihnen. Der Butler nahm ihre Einladung entgegen und sah nicht einmal gründlicher nach, dann öffneten sich die hohen Flügeltüren zur Eingangshalle mit dem hübschen Jagdmotivmosaik. Schmunzelnd blieb sie stehen und betrachtete den glänzenden Boden, den sie nur wenige Stunden zuvor noch kniend mit einer Bürste geschrubbt hatte. Elegant in Smokings gekleidet nickten ihr einige Männer verschiedener Altersgruppen zu und lächelten. Jetzt gehörte sie zu ihnen und dennoch kribbelte die Nervosität in ihrem Nacken. Selbst ihre Hände waren unter dem leichten Satinstoff feucht und ihr maskierter Blick huschte durch die Räume, die sie betrat, stets mit dem Pochen in ihrer Brust, man würde sie gleich enttarnen und entdecken. Doch es geschah nicht.
Im großen Saal tanzten Pärchen eng zu moderner Musik und Gruppen standen am Rand vertieft in ihren Unterhaltungen. Um ihre Hände zu beschäftigen, griff sie nach einem Glas von einem schwarzen Tablett, das ein junger Kellner des Cateringservices an ihr vorbeitrug.
„Der gut aussehende Mann dahinten starrt dich an, seit du den Saal betreten hast.“
Leonie gesellte sich an ihre Seite und schmunzelte in die Richtung der beiden Männer, die am Büfett standen und sich unterhielten. Langsam drehte Joy ihren Kopf zu ihnen, sah aber sofort wieder weg, als sie sich von dem dunkelhaarigen Mann beobachtet fühlte.
„Kennst du ihn?“
Leonie schüttelte den Kopf.
„Aber der blonde Mann daneben ist David Wyndam-Price, Adliger, Junggeselle und ein heißer Typ. Seine Freunde sind allesamt Stammkunden bei uns, aber er ist eigentlich nur selten hier anzutreffen. Scheinbar ist David aber auf den Geschmack gekommen, denn in letzter Zeit vergnügt er sich mit
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