Wenn es dunkel wird im Märchenwald ...: Ritter Blaubart
plötzlich wieder auf. Sie tanzten miteinander, die Säume der prachtvollen Gewänder schleiften über das Parkett. Alain stand vor ihr, zog sie mit sich hinaus auf die Tanzfläche. Seine Hände lagen um ihre Hüften. Er stieß sie von sich, drehte sie. Ihre Füße gehorchten seinen stummen Befehlen. Immer wieder kamen sie einander nahe, wurden getrennt. Ihr Herz schlug heftig, während er sie an sich zog. Näher. Seine Lippen berührten ihre, seine Hand auf ihrer Hüfte brannte. Lust breitete sich in ihr aus. Sie wünschte sich nur noch, ganz ihm zu gehören, nackt zu sein, alles zu tun, was er von ihr verlangte.
„Amelie, du träumst.“
Laras Stimme riss sie in den Bankettsaal mit der hohen Decke und den Kerzenleuchtern zurück. Sie blickte in das Gesicht ihrer Schwester, die ihr gegenübersaß.
„Das ist ein Ort zum Träumen.“
Stefan schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht. Je länger ich hier sitze, desto eher bin ich bereit, zu glauben, dass Alain wirklich etwas mit den verschwundenen Frauen zu tun haben könnte. Der Typ hat eine echte Profilneurose.“
Amelie sah ihn nachdenklich an. „Warum glaubst du eigentlich, dass es ein Mann ist? Irena könnte doch auch von einer Frau getötet worden sein.“
„Der Schwerthieb war sehr kraftvoll geführt. Außerdem ist diese Art von Gewalt typisch für einen Mann. Eine Frau nimmt vielleicht Gift oder ein Messer. Aber nicht unbedingt ein Schwert. Vermutlich hat der Mörder zu fechten gelernt.“
„Trotzdem muss der Mörder nicht aus unserem Ort kommen. Er könnte auch weiter entfernt wohnen.“
„Er könnte sich auch im Raum befinden.“
Lara sah ihn verärgert an und er schwieg.
Amelie wünschte sich, dass der Verlobte ihrer Schwester endlich aufhörte, für schlechte Stimmung zu sorgen. Dass Alain ein Mörder war, war ausgesuchter Unsinn. Es gab dafür keine Beweise. Allein der Tratsch der Dörfler hatte zu diesen Behauptungen geführt.
Vermutlich hat Stefan seine eigenen Vorbehalte gegen Alain. Er und Lara sehen sich viel zu intensiv an.
Wieder fühlte sie einen Stich. Mit Lara konnte sie einfach nicht mithalten. Nicht mit diesen anmutigen Bewegungen und diesem blonden Haar, das das Licht trank. Sicher, auch sie sah gut aus, und sie hatte nie einen Mangel an Angeboten gehabt. Doch so selbstsicher wie ihre Schwester würde sie nie werden. Wenn Lara sich bewegte, war sie der strahlende Mittelpunkt eines jeden Raumes. Selbst hier war es nicht anders. Viele Blicke lagen auf der Frau im roten Kleid, die eben genießerisch ein Stück rohen Lachs aß.
Aber Stefan sieht aus wie ein Filmstar. Eigentlich braucht er den Vergleich mit Alain nicht zu scheuen. Seine Eifersucht ist unnötig.
Obwohl Stefan fast zehn Jahre älter war als Lara, sah man ihm dieses Alter nicht an. Er wirkte wie Anfang zwanzig.
Amelie kniff die Lippen zusammen. Die beiden haben sich. Warum muss Lara überhaupt mit Alain flirten?
Sie blickte zu Alain hinüber, der in ein Gespräch mit einem zierlichen Rotkäppchen verwickelt war. Es schien Ewigkeiten zu dauern, bis er sich von der zierlichen Frau löste und an seinen Platz zurückkehrte.
Zwei Bedienstete in Anzügen trugen die Vorspeisen ab, der Hauptgang wurde serviert. Amelie versuchte, Alain in ein Gespräch zu verwickeln. Sie wollte ihre Chance nutzen. Vermutlich hatte sie nur diesen einen Abend, ihn besser kennenzulernen.
„Sie leben wie ein Ritter im Mittelalter.“
Er lächelte sein rätselhaftes Lächeln. „Viel besser. Den meisten Rittern ging es lange nicht so gut. Sie hatten kein Geld und mussten sich gegen die Dunkelheit erwehren.“
„Die Dunkelheit?“ Amelie glaubte, sich verhört zu haben.
„Vampire, Werwölfe, Dämonen. Die Wesen der Nacht.“
„Sie machen sich über mich lustig.“
Er grinste jungenhaft. „Ein wenig. Sie sehen hinreißend aus, wenn Sie verwirrt sind.“
Amelie griff errötend nach ihrem Weinbecher. „Vampire. Werwölfe. Interessieren Sie sich speziell für dieses Thema? Immerhin sind Sie als Graf Dracula verkleidet.“
Ihre Schwester und Stefan hörten aufmerksam zu.
„Ich mag Mythen und Legenden. Besonders düstere Legenden.“
„Wie die von Geschöpfen, deren Kräfte in Vollmondnächten am größten sind?“, hakte Stefan lauernd nach. „Die bei Vollmond morden müssen?“
„Sie geben nicht auf, was?“
„Ich mache meinen Job.“
„Nun, ich kenne da in der Tat eine Legende. Sie handelt von Vampiren, die vor zweihundert Jahren hier in dieser Gegend ihr Unwesen getrieben
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