Wenn Es Dunkel Wird
natürlich mich an. Als ob ich ihren iPod nehmen würde! Ich schüttelte bloß wortlos den Kopf und wandte mich wieder meiner Lektüre zu.
Auch Claas und Julian erwiderten nichts, ich glaube, Julian war es peinlich, dass seine Schwester so einen Schwachsinn von sich gab. Und Claas wollte sich offensichtlich nicht einmischen.
»Nett, wie ihr alle Anteil nehmt!«, bemerkte Tammy und stolzierte davon. Die nächsten Stunden sah man sie nicht mehr, was mir nur recht war.
Irgendwann vermischten sich die Sätze in meinem Buch mit meinen Gedanken über Tammy und Julian, über den Sommer – dann zerfaserten sie und ich driftete weg. Als ich wieder aufwachte, lag mein Buch auf dem Boden, ich hatte einen steifen Hals, fühlte mich schwindlig und unendlich müde. Über den Steinen der Gartenmauer flimmerte die Luft in der Hitze. Julian und Claas hatten sich längst ins Haus verzogen. Mein Gott, dachte ich, wie hält man diese Hitze aus? Mühsam richtete ich mich auf und schleppte mich ins Badezimmer. Dort stellte ich mich unters kalte Wasser und allmählich kehrte Leben in mich zurück.
Am Nachmittag wurde es noch heißer und unerträglicher, dennoch legte sich Claas in die pralle Sonne an den Pool, während Tammy und Julian dösend auf ihren Luftmatratzen im Wasser trieben. Nur ich verzog mich in den Schatten, machte es mir mit meinem Buch auf der Couch im Wohnzimmer bequem und ließ hin und wieder meinen Blick nach draußen gleiten.
Sonne scheint. Meer blau, Hitze tötet jedes Leben, würde ich jetzt twittern. Und: Die Zeit dehnt sich endlos. Wenn nicht bald etwas passiert, hört mein Herz vor Langeweile und Hitze auf zu schlagen.
Aber hier im Haus hatte ich ja keinen Empfang.
Abgeschnitten, dachte ich, wir sind uns selbst ausgeliefert, und da fiel mir ein Zitat aus Geschlossene Gesellschaft von Jean-Paul Sartre ein. Die Hölle, das sind die anderen.
Ich nippte an einem Glas Mineralwasser und stellte es auf ein schwarzes Schachspielfeld – eine schwarze Bodenfliese. Immer wieder wanderte mein Blick hinaus zu Julian auf der Luftmatratze. Er hatte die Arme seitlich ausgebreitet und schaukelte sanft auf dem Wasser. Ich fragte mich, ob er etwas an mir fand. Ob er mich nur aus Verlegenheit ignorierte – oder weil er Claas nicht in die Quere kommen wollte.
Mir fiel ein, dass Claas etwas von einer Gina erzählt hatte, mit der Julian vor Kurzem Schluss gemacht hatte.
Und plötzlich machte mich diese Trägheit wütend. Keiner von ihnen würde es merken, wenn ich nicht mehr da wäre. Auch Claas schien sich nicht sonderlich für mich zu interessieren. Irrte ich mich oder suchte er dauernd Tammys Nähe?
Entschieden klappte ich mein Buch zu und ging auf die Terrasse.
»Also, Leute«, fragte ich laut, »was machen wir heute Abend? Ihr wollt doch nicht die ganze Zeit hier so rumhängen?«
Claas drehte langsam den Kopf auf dem Liegestuhl und sah mich gequält an. »Warum schreist du so?«
Tammy grinste von ihrer Luftmatratze herüber. »Oh-oh. Ich glaube da ist jemand sauer.«
»Ich bin nicht sauer!« Ich ärgerte mich sofort über mich selbst, dass ich überhaupt auf ihre Bemerkung einging. »Ich habe nur keine Lust, meine Ferien so zu verbringen.« Ich zuckte die Schultern, als wäre das alles. Es war natürlich nicht alles, aber ich würde nicht vor allen zugeben und mir die Blöße geben, dass es mich nervte, wie nichts behandelt zu werden.
»Dann besuch doch einen Sprachkurs!«, meinte Claas und fügte in seiner spöttischen Art hinzu: »Aber ich nehme an, es gibt hier keinen, der auf deinem Niveau mithalten kann!«
Tammy kicherte, aber wenigstens Julian reagierte nicht.
»Ich wusste gar nicht, Claas, dass du so neidisch auf meine Noten bist«, gab ich zurück, »oder reicht’s bei dir etwa noch nicht ganz für Oxford?«
Claas wollte etwas entgegnen, aber Julian kam ihm zuvor.
»Mel hat recht, gehn wir heute Abend mal runter nach Colonnes.«
»Heute ist Dienstag, da ist so gut wie gar nichts los«, warf Tammy gelangweilt ein.
»Hm«, machte Julian und ließ den Kopf auf seine Matratze zurücksinken.
Ich wartete. Darauf, dass Julian weitersprach – oder jemand überhaupt etwas sagte.
Aber das Thema war anscheinend erledigt.
»Okay«, sagte ich schließlich, »dann geh ich eben allein.«
»Ist, glaub ich, ganz schön weit«, meinte Claas.
»Hier gibt’s ja bestimmt irgendwo ein Fahrrad, oder?«
»Meins kannst du nicht haben«, sagte Tammy sofort, »war viel zu teuer, um es vor einer Kneipe rumstehen zu
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