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Wenn Es Dunkel Wird

Wenn Es Dunkel Wird

Titel: Wenn Es Dunkel Wird Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuela Martini
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sich, zuckten im Rhythmus von Techno und House. Eine Orgie des Lebens, dachte ich in einem Moment poetischer Entrückung und suchte die wabernde Menge nach Julian ab, doch er war schon irgendwohin verschwunden.
    Tammy sah ich auch nicht mehr, selbst Claas war weg. Zuerst war ich missgelaunt, aber dann schloss ich einfach die Augen und überließ mich den Bässen, dem Wogen um mich herum, bald schwebte ich und ich fühlte mich frei und gut. Bis meine Gedanken wieder um Julian kreisten. Was wäre, wenn er genau jetzt vor mir stand? Genau jetzt.
    Ich öffnete die Augen und natürlich stand er nicht vor mir. Stattdessen zuckten Lichtblitze über die Körper, die sich in einem einzigen Rhythmus bewegten. Als ich für einen Moment innehielt, einfach inmitten der Menge stehen blieb, fühlte es sich an, als pumpte ein gigantischer Organismus um mich herum. Es war, als seien die einzelnen Leiber bloß Zellen ohne eigenen Willen, unfähig, allein zu existieren.
    Irgendwann erhaschte ich dann doch einen Blick auf Julians Gesicht, es war in lilafarbenes Licht getaucht, kaum aber erkannte ich es, verschwand es schon wieder zwischen all den anderen Gesichtern und Körpern. Hat er mich angesehen? Tammy, bemerkte ich, tanzte mit exaltierten Bewegungen, als könnte jeden Moment von ihr ein Foto gemacht werden.
    Ich weiß nicht, wie lange ich tanzte, ich fühlte mich schwerelos, körperlos – da entdeckte ich Claas’ Gesicht, er hatte die Augen geschlossen und wiegte nur seinen Oberkörper. Es war merkwürdig, aber auf einmal rührte er mich, vielleicht weil er mir so verloren vorkam, genauso verloren wie ich, kurz davor, sich in der Menge aufzulösen. Ich schob mich zwischen anderen Tanzenden durch, umfasste ihn, zog ihn zu mir heran und spürte die Hitze seines Körpers. Mein Kleid klebte schon an mir, aber ich ließ ihn nicht los und dann umfasste auch er mich, hielt mich fest und wir bewegten uns langsamer, viel langsamer als die anderen, als wären wir aus der Zeit herausgefallen. Ich schloss die Augen. Und dann geschah etwas, das mich erschreckte.
    Unsere Wangen berührten sich und ich roch das Chlor in seinen Haaren und die Sonne des ganzen Tages auf seiner Haut. Unsere Körpermitten wollten sich nicht mehr trennen, nicht einen Millimeter, seine Bewegungen wurden meine und umgekehrt, bis es nur noch eine einzige, von anderen kaum wahrzunehmende Bewegung war. Zwei Zellen in diesem Organismus verschmolzen miteinander und dann überließ ich mich einer anderen Kraft, die mich überwältigte.
    Töne und Licht explodierten, ich löste mich auf, schwebte irgendwo, wo es keine Grenzen, kein Oben und kein Unten gab, kein Vorher und kein Nachher, nur ein alle Zeiten umfassendes Jetzt. Julian. Julian. Julian. Es war Julian. Julian. Julian – nicht Claas.
    »He, wir wollen los!«
    Es dauerte eine Weile, bis ich zurückkam und realisierte, dass das da tatsächlich Tammy war, die vor uns stand. Und nur Bruchteile von Sekunden später erkannte ich auch, dass mich nicht Julian, sondern Claas festhielt.
    »Jetzt kommt schon!«, schrie sie gegen die Musik an. Ihre Gesichtsfarbe wechselte von Gelb auf Grün und wurde dann Rot.
    »Wir kommen nach!«, schrie ich zurück und umklammerte Claas noch enger, ohne ihn anzusehen. Für Momente noch wollte ich mir noch etwas vormachen, ihn festhalten – ihn, Julian.
    Tammys Augen zuckten. »Hier ist eh bald Schluss!«, schrie sie. »Wir waren jetzt echt lang genug hier!« Tammy verzog den Mund und musterte mich mit ihrem abschätzigen Blick. Aber einen Kommentar verkniff sie sich, denn ich hielt Claas und er hielt mich und sie war allein.
    »Und wo ist Julian?«, wollte Claas wissen und sah sich um. Sein Griff um meine Taille lockerte sich, ich drückte mich an ihn, ließ meine Hand über seinen Hintern gleiten, es konnte doch nicht sein, dass er mich so schnell vergaß. Claas!, wollte ich schreien und meinte Julian. Da sah ich, wie sich sein Blick auf Tammy geheftet hatte. Auf ihren Mund. Auf ihr Dekolleté. Auf ihren Busen.
    Tammy machte eine unbestimmte Geste Richtung Ausgang. »Also kommt ihr jetzt?« Sie gähnte demonstrativ, doch ich fand, dass sie eine ziemlich miese Schauspielerin war.
    Claas nickte und im selben Moment ließ er seine Arme fallen, die mich noch immer, wenn auch lockerer, hielten, als hätte ich mich gerade in Luft aufgelöst.
    Ich tappte hinter ihm und Tammy her. Warum nahm ich das einfach so hin, warum ließ ich mich so behandeln? Wir drängelten uns an verschwitzten Körpern

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