Wenn Es Dunkel Wird
unten über meine Hüfte, ich bebte, spürte, wie sich in mir etwas zusammenballte, etwas Heißes, Glühendes …
»Nein!«, gellte auf einmal Tammys Stimme.
Wir erstarrten.
»Jemand ist eingebrochen!«, schrie Tammy im Haus.
Während ihre Worte noch nachhallten, blitzten schon Bilder in meinem Kopf auf. Aufgeschlitzte Polster, aus den Regalen gerissene Bücher, umgestürzte Möbel – und Leerstellen, überall dort, wo vorher etwas gewesen war.
»Bleib, wo du bist, Tammy!«, rief Julian. Seine Hände waren plötzlich verschwunden und mein Körper fühlte sich seltsam kalt an. »Tammy, lass mich reingehen!«, hörte ich ihn rufen. Aber da war er schon an der Haustür.
Ich ließ mich auf einen Stein sinken. Noch nie habe ich mich so verlassen gefühlt.
Irgendwann erhob ich mich und ging ins Haus.
Gleißende Helligkeit blendete mich. Sie hatten alle Lampen angeschaltet, als wollten sie jeden Winkel ausleuchten, als könnte sich der Dieb hinter Vorhängen oder unter Betten versteckt haben.
Langsam ging ich ins Wohnzimmer, spähte nach allen Seiten, auch hinter mich, doch es huschte kein Schatten durchs Zimmer und anders als im Film schlug auch keine Tür zu. Der Dieb war weg. Man sah – und roch – ihn nicht mehr, falls er überhaupt einen besonderen Geruch hatte, nach Zigaretten, Schweiß oder einem aufdringlichen Parfüm, vielleicht. Aber der Typ hatte etwas anderes hinterlassen: Scharfe, spitze Glasscherben und Abertausende von blitzenden Splittern bedeckten den Schachbrettboden im Wohnzimmer. Er hatte die große Terrassentür eingeworfen und es kam mir vor, als lauerte da draußen die Nacht mit ihrer Dunkelheit und ihren Geräuschen und wir waren ihr nun schutzlos ausgeliefert. Mich überlief ein Schauder, als unter meinen Sohlen das Glas brach.
Ich weiß nicht, ob du das kennst, aber zerbrochenes Glas ruft ein seltsames Gefühl von Trauer in mir hervor. Von Gescheitertsein, davon, unwiderruflich etwas verloren zu haben.
Und so stand ich da im hell erleuchteten Wohnzimmer mit diesen Ritterburgstühlen und dem Ritterburgtisch und diesem enormen Hirschgeweihleuchter darüber und konnte mich auf einmal nicht mehr rühren, weil mich das Bersten unter meinen Sohlen an zerbrechende Knochen erinnerte.
Da erst hörte ich die anderen im oberen Stockwerk herumlaufen, hörte Tammy etwas von ihrem iPod plärren und Claas und Julian durcheinanderreden.
Ich hatte keine Lust, zu ihnen zu gehen, mich von ihrer aufgeregten Betriebsamkeit anstecken zu lassen, und goss mir an der Küchentheke ein Glas Wasser ein. Die Bässe vom La Porte dröhnten noch immer in meinem Kopf, in meinen Ohren war Rauschen. Mir fiel die große Meeresmuschel ein, die mir mein Vater als kleines Mädchen – ans Ohr gehalten hat. »Horch mal«, hat er gesagt, »darin rauscht das Meer.«
Als ich wissen wollte, warum, sagte er: »Weil die Muschel so lang im Meer gelegen hat. Sie hat die Musik der Wellen gespeichert.«
Natürlich hab ich das geglaubt. Kinder sind nicht bloß leichtgläubig, sie sind auch dankbar für jede mysteriöse Geschichte.
Ich stellte mir vor, was passiert war.
Als wir tanzten, als wir uns der Musik, dem Vibrieren und Stampfen, den Umarmungen und unseren Gefühlen überließen, genau in dieser Zeit warf also jemand einen Stein, der übrigens direkt vor mir auf dem Boden lag, durchs Terrassenfenster. Hat uns jemand weggehen sehen? Warum dieses Haus?
»Hm …«, machte es hinter mir.
Claas war heruntergekommen und ließ seinen Blick durchs Wohnzimmer schweifen. »Von meinen Sachen fehlt nichts«, sagte er, »und den Fernseher haben sie auch nicht mitgenommen, merkwürdig.«
Ich erwiderte nichts.
Obwohl das Haus nicht mir gehörte, mir die Glasscheibe egal sein könnte, fühlte ich mich, als sei auch mir Gewalt angetan worden. Ich sträubte mich davor nachzusehen, ob man von meinen Sachen etwas gestohlen hatte.
»Hm«, machte Claas wieder und schüttelte den Kopf, »wundert mich, dass die hier keine Alarmanlage haben.«
»Die hätte auch nichts genützt«, sagte ich.
Er fuhr sich durchs Haar, er war eindeutig verlegen.
Was wollte er? Sich entschuldigen? Fragen, ob das im La Porte echt gewesen war? Ob … ob ich mit ihm schlafe?
Und was wirst du antworten, Mel? Wirst du lügen?
»Ich hab mich gerade gefragt, ob ...«, fing er an und drehte sich zu mir.
Seine Augen hinter den Brillengläsern waren mir noch nie so leer vorgekommen.
Er machte gerade den Mund auf, als Tammy die Treppe herunterschrie: »Mein iPod ist
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