Wenn Es Dunkel Wird
so eine Geschichte …«
Jetzt wurde es endlich interessant.
Er schüttelte abschätzend den Kopf. »Das ist ja schon fünfzehn Jahre her. Im Grunde weiß niemand, was wirklich passiert ist. Einer seiner Gäste – Freunde – verschwand, ungefähr einen Monat, bevor er selbst nicht mehr heimkam. Es gab die Vermutung, dass dieser Gast …« Er brach ab, überlegte wohl, ob das noch unter das Dienstgeheimnis fiel – und ich ergänzte: »… umgebracht worden ist.«
Er nickte. »Man hat die Leiche nie gefunden. Daher weiß man auch immer noch nicht, ob wirklich ein Verbrechen vorliegt.«
»Vielleicht ist dieser Henry Paige ja auch seinem Gast nachgereist. Vielleicht war er schwul?«
»Ganz sicher nicht! Es heißt, er habe dauernd neue Frauen gehabt.« Er zog seine Augen zusammen. »Nein, es gab wohl vorher schon ein paar Vorfälle …«
Ich wartete.
»Verletzungen, Überdosen … wie gesagt, es war so etwas wie eine Sekte.«
»Also, um uns müssen Sie sich keine Sorgen machen«, sagte ich mit einem besonders charmanten Lächeln, »wir schwimmen lediglich, lesen – und chillen.«
»Das ist natürlich gesünder – und weitaus ungefährlicher.« Er fügte bedauernd hinzu: »Ich hab meine Ferien für dieses Jahr ja schon hinter mir. Aber … wie war Ihre Wanderung gestern?«
»Wieso …?«
Er lachte und erklärte: »Vincent hat es mir erzählt.«
»Ach so, ja, es war ein bisschen zu heiß.«
»Ja, das stimmt! Der Herbst ist besser zum Wandern geeignet. Aber man kann es sich nicht immer aussuchen, oder? Ich will Sie nicht länger aufhalten – übrigens …«, sein Blick ging über meine Schulter hinweg, »sagen Sie meiner Schwester einen schönen Gruß von mir.«
»Mach ich gerne.«
»Noch einen schönen Ferientag!«
Ich nickte und winkte, weil er auch winkte, als er davonfuhr.
Beobachtet er mich? Aber wieso sollte er?, fragte ich mich, bis der Polizeiwagen rechts in die Straße einbog, die zur Kirche und zum Dorfplatz führte.
Und dann ging ich in den Laden und kaufte die Crowley-Karten.
17
Ich war bis zum Nachmittag am Strand gewesen. Das Alleinsein hatte mir gutgetan, und als ich den Berg hinaufstrampelte, fühlte ich mich so frisch, dass ich trotz der Anstrengung vor mich hin summte – wenn ich nicht gerade zu sehr schnaufen musste. Ich nahm mir vor, auch morgen wieder einen kleinen privaten Ausflug zu machen. Vielleicht würde ich Julian vergessen.
Was für ein kolossaler Irrtum, denn kaum betrat ich die Villa, suchte ihn bereits mein Blick.
Sie lagen alle am Pool.
»Du hast Tarot-Karten gekauft?« Claas sah erstaunt auf. »Wo gibt’s die denn hier?«
»In einem kleinen Laden neben dem Supermarkt, sie lagen im Schaufenster«, sagte ich und erzählte ihnen von meiner Begegnung mit Yannis und den Gerüchten über Henry Paige. Allerdings erwähnte ich nicht, dass er von unserer Wanderung wusste. Warum auch? Ich hielt es zu diesem Zeitpunkt einfach nicht für wichtig.
Sogar Tammy wollte beim Tarot-Kartenlegen dabei sein.
Bald saßen wir auf der Terrasse, sahen den Sternen beim Aufgehen zu und rauchten uns in Stimmung.
»Also«, fing ich an. »Soll ich es euch mal erklären?«
Melkri01 dreht der Kamera den Rücken zu. Als sie sich ihr wieder zuwendet, hält sie eine Spielkarte vor die Linse. »Mit meiner Großmutter hab ich in den Ferien in Irland oft stundenlang Tarot-Karten gelegt. Ich fand sie irgendwie unheimlich. Also, die Karten, nicht meine Großmutter.« Sie lächelt kurz. »Wir begannen damit, dass jeder eine Karte zog. In einem Heftchen waren die Deutungen der Karten nachzulesen.«
Doch zurück zur Villa.
»Ich mach es kurz«, sage ich, während ich die Karten auspackte und zu mischen begann. »Laut einer Legende überlegten die Weisen im alten Ägypten, wie sie ihr Wissen der Nachwelt hinterlassen könnten. Inschriften und Bücher verwarfen sie, die würden politische Umwälzungen nicht überstehen. Wohl aber Spielkarten, denn die Menschen würden sich das Laster des Spiels niemals abgewöhnen.«
»Wie wahr«, warf Claas ein.
»Hast du mal im Spielcasino gearbeitet?«, fragte mich Julian plötzlich und machte eine Kopfbewegung zu meinen Händen hin, die gerade zum vierten Mal das Blatt durchmischten. Zuerst mischte ich in größeren Packen, dann ging ich zum eleganteren Mischen über, fächerte die Karten auf, raffte sie wieder zusammen, wiederholte das Prozedere vorwärts und rückwärts.
»Vielleicht ist sie auch Falschspielerin?«, meinte Tammy. Mal wieder sprach sie in
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