Wenn Es Dunkel Wird
der dritten Person von mir. Worauf ich ihr mit einem natürlich falschen Lächeln antwortete.
Julian beobachtete weiter meine unzählige Male geübten Handgriffe.
»Du hast damit dein Geld verdient, stimmt’s?«
»Stimmt.« Dass mir meine Großmutter das Kartenspielen – und richtiges Mischen – beigebracht hatte, erwähnte ich nicht, auch nicht, dass sie leidenschaftlich Patience und Tarot-Karten legte. Sollten sie ruhig ein bisschen rätseln.
»Wer will anfangen?«
»Wie wär’s mit dir, Tammy?«, fragte Claas herausfordernd.
»Ich mach das sowieso nur mit, weil mir langweilig ist«, erklärte Tammy.
»Klar.« Claas lachte auf seine spöttische Art. »Deshalb machen wir es doch alle, oder?«
»Komisch, glaubt ihr nicht auch, dass dieser Schriftsteller noch am Leben ist?«, meinte Julian unvermittelt. »Vielleicht musste er wirklich untertauchen, weil er einen Mord begangen hat, was Mel erzählt hat.«
»Das ist nur eine Spekulation, Julian«, sagte ich so sachlich wie möglich – und ohne ihn anzusehen.
»Wir haben doch seine Höhle gesehen, die Gläser mit den Embryos und so.«
»Igitt, jetzt hör auf, Julian, das ist wirklich so eklig!« Tammy schüttelte sich.
Mit Schwung legte ich den Stapel auf den Tisch und sah auf. »So. Wer hebt ab?«
Claas zögerte nicht. Ich belohnte ihn mit einem Lächeln für seinen Mut, packte die Stapel wieder aufeinander und mischte erneut.
Und plötzlich spürte ich etwas in mir. Wie fühlt sich Macht an? Im Bauch fängt etwas an zu wachsen, etwas Warmes, Rundes, und es breitet sich in der Brust aus, dein Herz schlägt schneller, es wird wärmer und du hast das Gefühl, dich auszudehnen, und dann spürst du ein Kribbeln in den Fingern und Füßen. Ich wusste: Mit diesen Karten hatte ich ihre Gefühle in der Hand.
Genau das wusste ich in dem Moment, als sie mir alle gebannt beim Mischen zusahen. Wieder legte ich den Stapel auf den Tisch, wieder hob Claas ab, als ich ihn stumm aufforderte, und wieder legte ich die Stapel aufeinander. »So, wer fängt an?« Normalerweise hätte ich, weil ich gemischt habe, die erste Karte ziehen müssen, aber das brauchte ich ihnen ja nicht auf die Nase zu binden.
Ich sah die drei der Reihe nach an. »Ich hab schon abgehoben«, Claas lehnte sich zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. »Du bist nur feige!« Julian lachte. Tammy rollte die Augen, als ob sie das alles nur tödlich anödete, aber ich war mir sicher, dass sie das nur vorgab, um mir eins auszuwischen.
»Claas«, bestimmte ich. Inzwischen war das Gefühl der Macht bis in meine Hände vorgedrungen, sie fingen an zu kribbeln und ich genoss es. Lieber, armer Claas, mal sehen, was die Karten sagen – und was ich dir sagen will.
»Fächere die Karten so auf dem Tisch auf«, erklärte ich, »und zieh dann die Karte, die deine Hand anzieht. Du musst die linke Hand nehmen.«
»Mann, Claas«, Julian lachte. »Bald hast du keine Geheimnisse mehr!«
»Abrakadabra, Taubenscheiße, Hexenschweiß …«, murmelte Claas, während er seine Hand über den Karten schweben ließ. Er nahm es nicht ernst oder vielleicht doch und wollte es nicht zeigen.
Er zog und drehte die Karte um.
Der Turm.
»Oh«, sagte ich und machte ein erschrockenes Gesicht. Das war dafür, dass er sich mehr für Tammy interessierte als für mich.
»Warte, warte, lass mich mal raten.« Er betrachtete die Karte, hielt sie hoch, drehte sie, runzelte übertrieben die Stirn, legte sie wieder hin und sagte mit besonderem Ernst: »Ich sehe hier ein Auge und so was wie ein Schloss mit einer Falltür …« Er schloss die Augen und flüsterte: »Das Unheil steht bevor, man muss sich jetzt ins Schloss retten und sich dem beschützenden Blick Gottes anvertrauen.« Er riss die Augen auf und grinste. »Und? Hab ich recht?«
Ohne ins Buch zu sehen, sagte ich kühl: »Der Turm bedeutet Veränderungen.«
»Oxford, klar!«, trumpfte er auf.
»Es sind eher Zusammenbrüche gemeint. Dein Ego bricht zusammen und wird zerstört.« Das stimmte sogar. »Es kann auch Unfall bedeuten.« Ich genoss es, die Katastrophe anzukündigen. Es geschah ihm ganz recht.
»Das ist gruselig, Mel«, raunte Claas und nahm einen langen Zug aus der Wasserpfeife. »Wirklich gruselig«, sagte er langsam und blies Ringe in die Luft. »Machst du das absichtlich?«
»Denk doch, was du willst!«, erwiderte ich. »Kannst es gern nachlesen – hier!« Ich schleuderte ihm das Heftchen vor die Nase.
»Mann, Alter«, sagte Julian lachend, »dein
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