Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wenn Es Dunkel Wird

Wenn Es Dunkel Wird

Titel: Wenn Es Dunkel Wird Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuela Martini
Vom Netzwerk:
bleibst es auch! Und die anderen machen sich sogar noch über dich lustig! Man muss ja nur mal diese blöden Sendungen im Fernsehen angucken!«
    Claas nickte und schob zum wiederholten Mal die Brille höher auf die Nase. »Und Versager sind arbeitslos und asozial – so denken doch alle! Versteht ihr? Das ist die Horrorkulisse, die sie vor uns aufbauen, mit der sie uns in Schach halten, damit wir nur nicht aufmucken und schön brav tun, was sie sagen!«
    »Ja! Denn wenn du nur an deine Noten und deinen Job denkst, hast du gar keine Zeit, mal näher hinzusehen, was die Politiker und diejenigen machen, die über unser Leben bestimmen, oder?«, meinte ich jetzt.
    »Absolut richtig!«, pflichtete mir Claas begeistert bei und auch von Tammy und Julian kam ein Nicken.
    »Uns predigen sie, wir sollen die Wahrheit sagen, und die Politiker lügen wie gedruckt!«, sagte Julian heftig.
    »Genau, sie sind die Stärkeren und die Mächtigen nehmen sich sowieso immer, was sie wollen!«, stimmte Tammy zu. Julian streckte die Hand aus – und strich ihr eine Strähne aus der Stirn. Sie merkte es kaum. Aber mir gab es einen Stich ins Herz.
    »Also«, sagte Claas, »wir wollen ab sofort keine Angst mehr haben. Wir wollen unsere Grenzen selbst bestimmen! Wir lassen uns nicht mehr beherrschen!«
    Wir rauchten Shisha und jeder von uns stellte sich vor, wie sein Leben ohne Verbote wäre, wenn wir nur das tun würden, was allein wir für richtig hielten.
    Was ich mir vorstellte? Ich würde mir einfach … Julian nehmen, ich würde vor allen verkünden, dass ich ihn wollte …
    Ich wachte irgendwann mitten in der Nacht auf, weil mich etwas gestochen hatte. Ich bemerkte, dass ich allein auf der Couch im Freien lag. Ich holte mir eine Decke von drinnen und schlief draußen weiter.
    Am nächsten Morgen war ich früh auf. Bevor die anderen herunterkamen, nahm ich mir Frau Wagners Alurad und machte mich auf den Weg nach Les Colonnes und an den Strand.
    Ich ließ mich die gewundene Bergstraße runterrollen, genoss den Wind, wie er mir mein Haar zerzauste, wie er über meine Haut strich, konnte vom Anblick des azurblauen Meeres nicht genug bekommen. Ich sang laut eine erfundene Melodie vor mich hin oder eine, die ich vielleicht mal irgendwo gehört hatte, aber nicht mehr wusste, wo. Ich wollte Julian vergessen und Claas und Tammy, ich wollte einfach wieder ich sein. Am Ortseingang bremste ich etwas ab, warf einen kurzen Blick nach rechts zur Autowerkstatt, wo ein Mechaniker im ölverschmierten Overall gerade einen Reifen wechselte und aufsah, als ich vorüberrollte. Ich kam an einem Café vorbei, in dem zwei alte Männer mit Zigaretten und Kaffee auf Plastikstühlen unter wildem Wein saßen, und stieg vom Rad. Ich genoss es, durch die Gassen zu schlendern und all das zu entdecken. Eine kleine Katze huschte an meinen Füßen vorbei und versteckte sich hinter einem Blumentopf, aus einer geöffneten Haustür stieg der Duft von frisch gebackenem Kuchen, vor einem engen Fischladen drängten sich schwatzende Hausfrauen, an der Ecke gegenüber machte mich der düstere Eingang einer Bar neugierig. Dann aber bemerkte ich den Zeitungsladen, wunderbar, dachte ich, ich werde mich mit ein paar französischen Politik-Magazinen eindecken. Ich schob also mein Rad dorthin und blieb stehen.
    In dem Moment wusste ich nicht, ob ich mir selbst etwas zurechtreimte, ob ich Dingen eine Bedeutung gab, die sie gar nicht verdienten. Dort, in dem mit durchsichtiger orangefarbener Folie beklebten Schaufenster, lag neben einem Wasserfarbkasten, einem Stapel Spiralblöcken, einem teuren Kugelschreiber im Etui und einer ganzen Batterie Pfeifen und verschiedenen Tabaksdosen, neben Klangschalen und Himalaja-Salzlampen – ein Aleister-Crowley-Tarot-Kartenblatt. Erinnerst du dich noch, was ich über Tarot gesagt habe? Du kannst mit ihnen dein Schicksal befragen – und deshalb war ich ganz sicher, dass es kein Zufall war, dass die Crowley-Karten hier, in diesem verstaubten Schaufenster auf mich gewartet hatten. Es gibt keine Zufälle, okay?
    Aber, sagst du jetzt bestimmt, gibt man nicht in manchen Situationen Dingen oder Ereignissen eine Bedeutung, die sie gar nicht verdienen?
    Dieses Kartenspiel lag da, in diesem altmodischen Schaufenster, vielleicht schon seit Jahren herum. Es wurde nicht extra für dich hindrapiert, Mel!, willst du sagen, stimmt’s?
    Aus den Augenwinkeln nahm ich plötzlich ein Auto wahr, das langsam heranglitt. Ich drehte mich um. Polizei. Meinen die, ich

Weitere Kostenlose Bücher