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Wenn Es Dunkel Wird

Wenn Es Dunkel Wird

Titel: Wenn Es Dunkel Wird Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuela Martini
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mitgebracht. Angeblich hatten sie einen Typen getroffen, der sie ihnen angedreht hatte.
    Ich glaube, Claas war der Einzige, der sie nahm. Und wahrscheinlich lag es an ihnen – und nicht am Fast-Vollmond –, dass Claas am Abend völlig überdrehte, auf die Gartenmauer sprang und mit ausgebreiteten Armen rief: »He, Tammy, komm hoch, so fühlt es sich an, ein Vogel zu sein!«
    »Claas als Vogel! Das will ich sehen!«, meinte Julian und schubste ihn. »He du Arsch!« Claas konnte gerade noch das Gleichgewicht halten.
    »Tammy, komm schon!«, rief er übermütig. »Oder hast du Schiss vor mir?«
    Er bückte sich und wollte sie hinaufziehen, aber sie wich zurück und er griff ins Leere. Wie im Zeitlupentempo ruderte er mit den Armen zurück und verlor die Balance. Ich versuchte noch, seine Hand zu fassen zu kriegen, doch wir griffen aneinander vorbei und er stürzte rückwärts in die Tiefe.
    »Claas!«, schrie ich und lehnte mich über die Steinmauer.
    »Dieser Idiot!«, rief Tammy und Julian sagte: »Mann, Alter, du bist so was von bescheuert!«
    »Claas!«, rief ich hinunter, aber er antwortete nicht.
    Tammy holte die Taschenlampe und, plötzlich den Ernst der Lage begreifend, sahen wir angstvoll dem Lichtkegel zu, der langsam über die Erde am Fuße der Mauer kroch. Wie tief war er gestürzt? Drei Meter? Und wenn er sich das Genick gebrochen hat?, dachte ich. »Wo ist der Penner?«, fragte Julian ungeduldig und beugte sich noch weiter über die Mauer.
    »Wie kann man nur so blöd sein!«, schimpfte Tammy und verfolgte angestrengt den Schein der Taschenlampe.
    Ich glaube, in dem Moment hatten wir alle drei Angst, dass Claas etwas Ernstes passiert sein könnte. Nur wagte keiner, es auszusprechen.
    »Claas!«, rief ich wieder nach unten.
    Endlich hatte der Lichtkegel etwas Helles im dichten Gestrüpp erfasst.
    »Da ist er!« Julian schwang sich über die Mauer. Ich versuchte zu erkennen, ob Claas sich bewegte, aber sein Kopf war zur Seite gefallen und Arme und Beine lagen ziemlich verdreht im Gebüsch.
    Hast du dir schon mal vorgestellt, wie es sich anfühlt, am Tod oder am schlimmen Unfall eines andern Schuld zu haben?

22
    Er ist tot, das war mein erster Gedanke. Claas hat sich das Genick gebrochen.
    Ich zitterte, als ich die Steinmauer hinunterkletterte, und griff ein paar Mal daneben, konnte mich aber jedes Mal gerade noch festhalten. Dornige Ranken, die die Mauer hinaufwuchsen, schnitten mir in die nackten Beine und Arme, Zweige schlugen mir ins Gesicht. Endlich stand ich neben Tammy und Julian, zwischen Oleanderbüschen, die seit Jahren nicht mehr ordentlich geschnitten worden waren, denn ihre Äste flochten sich ineinander, als gehörten sie zu ein und derselben Pflanze. Ich sank ein in das dichte Geflecht von Bodenranken, dornigen Rosen, wildem Wein, von verrottenden Ästen und Haufen von trockenen Piniennadeln.
    »Claas? Komm schon!« Julian kniete am Boden und tätschelte Claas’ Gesicht.
    Der lag zwischen zwei Pinienstämmen, reglos, auf dem Bauch, ein Bein angewinkelt – wie im Fernsehen, wenn der Kommissar einen Erschossenen am Tatort sieht. Selbst in der Dunkelheit konnte man rote Striemen auf Claas’ heller Haut erkennen.
    Ich kniete mich neben Julian. Claas’ Kopf war verdreht und ich fürchtete das Schlimmste. Querschnittslähmung, Schädelbasisbruch fielen mir als Erstes ein. Da öffnete er die Augen.
    »He, bin wohl eher ein Dodo, was?«, sagte er.
    »Du meinst wohl Idiot«, sagte Tammy, die schließlich auch heruntergekommen war. »Scheiße, er kann nicht mehr richtig sprechen!«
    Ich sah sie an und konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. »Der Dodo war ein Vogel auf Mauritius. Ein Vogel – aber flugunfähig.«
    »Mach dir nichts draus, Tammy, so ist sie eben!«, sagte Claas und ächzte, als er sich bewegen wollte. Geschieht dir recht, dachte ich in dem Augenblick.
    Julian legte ihm die Hand auf die Schulter.
    »Bleib ganz ruhig liegen, wir holen dich rauf.«
    »Ist schon okay!« Claas versuchte, sich aufzurichten, sank aber zurück. »Mist!«
    »Langsam«, sagte Julian.
    Er setzte sich auf. Keine Lähmung, dachte ich erleichtert, kein Schädelbasisbruch. Noch nicht mal seine Brille war zerbrochen, wie ich jetzt bemerkte.
    Er sah an sich herunter. Seine Unterarme und Beine bluteten. »Fuck, Schürfwunden tun scheißweh.«
    Zu dritt hievten wir Claas über die Mauer. Abgesehen von den Schürfwunden hatte er sich wohl nur den Knöchel und ein Handgelenk geprellt. Wir legten ihn auf eine weiße

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