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Wenn Es Dunkel Wird

Wenn Es Dunkel Wird

Titel: Wenn Es Dunkel Wird Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuela Martini
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versteinerte sich, sie sah Claas warnend an. Liebt sie ihn eigentlich auch, ihren Bruder? So wie er sie? Kann sie es nur besser verbergen? In diesen verschwommenen Momenten schien mir all das möglich, wer wusste schon, was alles in den vergangenen Tagen zwischen uns und zwischen Tammy und Julian aufgebrochen war?
    »Wir müssen ihm helfen!«, hörte ich mich sagen, vielleicht so leise, dass es die anderen gar nicht hörten. Keiner stand auf. Meine Gedanken wirbelten wild im Kopf herum und bald wusste ich gar nicht mehr, worüber ich eben noch nachgedacht hatte.
    Während wir auf Julians Rückkehr warteten, dehnten sich die Minuten zu Stunden. Unter den flackernden Flammen wurden die Zeichnungen an den Wänden immer lebendiger und unheimlicher.
    Mann und Frau, die sich unter einem Baum küssen. Ich sah näher hin und entdeckte die Schlange im Baum. Ihr gekrümmter Leib würde gleich den Körper der Frau umschlingen. Hatte Henry Paige hier Geschichten aus der Bibel verewigt? Adam und Eva, die im Paradies von der Schlange verführt werden, das Verbotene zu tun, und sich damit Gottes Zorn zuziehen?
    Was wollte Henry Paige damit ausdrücken? Hatte auch er sich »verboten« verliebt, hatte er von einer verbotenen Frucht gekostet? Ist er vielleicht deswegen verschwunden? Hat er irgendwo ein neues Leben angefangen? Unerkannt?
    Hatte er einfach nach seinem Grundsatz gehandelt, lieben zu dürfen, wen er wollte? Und wurde dafür bestraft, getötet?
    Immer schneller zog mich der Gedankenstrudel in die Tiefe.
    Da riss mich Tammys Stimme zurück an die Oberfläche. »Und wenn es wirklich so eine Zwischenwelt gibt?«, fragte sie leise. »Wenn dieser Paige … nicht richtig tot ist … und seine Seele … auf Erlösung hofft?«
    So gern ich sie lächerlich gemacht und verhöhnt hätte – mir ging gerade dieselbe Frage durch den Kopf. Vielleicht hat er sich bloß gewehrt gegen diejenigen, die ihm etwas streitig machen wollten … seine Liebe zum Beispiel.
    Den Gefallen, ihr zuzustimmen, wollte ich ihr jedoch nicht tun.
    »Vielleicht«, sagte Claas langsam, »hat Julian ja da draußen Spuren von jemandem gefunden. Spuren von unserem Stalker.« Er zuckte die Achseln. »Könnte ja sein, dass der uns nur Angst machen will.«
    Wir blickten gebannt in die Schatten am Eingang, auf die herabhängenden Wurzeln und Ranken, die im schwachen Feuerschein wie tausend Fangarme zuckten.
    Und wenn Julian nicht wieder zurückkäme? Wenn da draußen wirklich etwas war – oder war es hier drin?
    Der Mond tauchte die Höhle in ein unwirkliches Licht, kalt und abweisend. Plötzlich fror ich. Dabei war es auf dem Weg hierher noch so brütend heiß gewesen. Ich dachte an die stickige Villa und an den nicht funktionierenden Ventilator.
    Und auf einmal drängte sich ein beängstigender Gedanke auf: Hatte uns jemand hierher gelockt?
    Hatte jemand den Strom manipuliert, die Kiste auf dem Speicher so positioniert … damit wir sie finden mussten?
    Lagen die Tarot-Karten in dem Laden tatsächlich schon lange dort – oder wurden sie erst dorthin gelegt?
    Und die Sache mit dem Bikini? Die Ratte in Tammys Bett, der Einbruch? Gehörte das alles zu einem perfiden Spiel und waren wir nichts mehr als die Figuren? In Henry Paiges Spiel?
    »Und wenn Henry Paige nie gestorben ist?« Was hatte ich da gerade gesagt?
    Tammy sah mich entsetzt an. »Du meinst … er könnte das … gewesen sein?«
    Mir lief es kalt den Rücken hinunter.
    »Was weiß ich?« Die Vorstellung, dass dieser Schriftsteller hier seit Jahrzehnten unentdeckt hausen könnte, nahm mir für kurze Zeit den Atem.
    »Was ist mit euch los?«, rief Claas. »Dreht ihr jetzt beide total durch? Das alles hier ist doch reine … Halluzination! Wir hatten so was wie eine Gruppenerfahrung, so was ist total normal, wenn...«
    »Erspar uns deinen ach so wissenschaftlichen Psychoscheiß!«, unterbrach ich ihn.
    Auch Tammy sah ihn vernichtend an, worauf er seinen Kelch nahm und ihn in einem Zug austrank. Wer weiß, wie das Gespräch weitergegangen wäre, womöglich hätte ich mich sogar noch mit Tammy gegen Claas verbündet – wenn nicht Julian wieder hereingekommen wäre. Der Dolch war nicht mit Blut besudelt – ich weiß noch, dass ich das erleichtert feststellte.
    »Da war niemand«, sagte er, »aber vielleicht …« Entschlossen ging er an unserer Nische vorbei und weiter in den Gang hinein, der tiefer in den Felsen führte. Ich war nie weiter als bis zur Nische mit den Polstern gegangen und plötzlich glaubte

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