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Wenn Es Dunkel Wird

Wenn Es Dunkel Wird

Titel: Wenn Es Dunkel Wird Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuela Martini
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dachte ich daran, wie gern ich von ihm so in den Arm genommen worden wäre.
    »Totschlag. Oder sogar Mord«, sagte Claas. »Wir können ins Gefängnis wandern. Das ist euch doch allen klar, ja? Und werden alle vorbestraft sein.«
    Jetzt merkte ich, dass ich am ganzen Körper zitterte.
    »Er wollte uns einen Schrecken einjagen«, sagte Tammy leise. »Er wollte uns bloß einen Schrecken einjagen! Und wir haben ihn umgebracht!«
    »Das hätte er sich verdammt noch einmal früher überlegen sollen«, sagte Claas, das schweißnasse T-Shirt klebte ihm am Rücken. »Was glaubt der wohl: dass wir ihm vor Angst schlotternd zu Füßen liegen oder was? Er ist selbst schuld!« Und auf einmal schrie er: »Er ist selbst schuld!«
    »Er hat sich einen Spaß gemacht …«, sagte ich benommen.
    »Aber dann war er es auch …«, sagte Tammy, »der uns beobachtet hat, es war sein Handy, er hat uns nackt fotografiert, er hat die Scheibe eingeworfen, das Stromkabel durchgeschnitten … meinen iPod geklaut … und …«, sie zögerte und schrie dann wütend: »Dieses perverse Schwein hat uns terrorisiert!«
    Claas nickte bestätigend. »Richtig. Er hat uns terrorisiert.«
    Ich hätte zusammenbrechen, schreien, wegrennen können, all das hätte ich von mir erwartet, doch plötzlich fühlte ich mich vollkommen klar und nüchtern. »Wir müssen ihn verschwinden lassen.«
    »Wir könnten ihn hier irgendwo verstecken.« Julian sah sich um.
    »Viel zu gefährlich!«, wendete Claas abwägend ein. »Wenn man hier nach Fasern sucht, findet man mit Sicherheit einen Haufen von unseren.«
    »Dann begraben wir ihn draußen irgendwo.« Tammy deutete in eine unbestimmte Richtung.
    »Wie denn?«, fragte ich. »Willst du mit deinen bloßen Händen ein Loch graben?«
    »Wartet mal.« Julian kratzte sich am Kopf. »Auf dem Weg hierher sind wir an einer Felsspalte vorbeigekommen, ich schätze mal, sie ist breit und tief genug.«
    Wir waren uns schnell einig.
    Julian und Claas packten ihn an den Handgelenken, Tammy und ich oberhalb der Fußgelenke. Der Umhang war nach oben gerutscht und man sah jetzt seine behaarten Beine.
    Ich hab mir immer vorgestellt, dass ein Toter sofort eiskalt wird, dass sich die Haut so kalt und hart wie Marmor anfühlt. Aber seine war noch warm, wärmer als meine.
    »He, wartet mal.« Ich blieb stehen. »Wie ist er überhaupt hier raufgekommen? Hat er vielleicht irgendwo an der Straße sein Auto abgestellt?«
    »Ich hab ihn immer nur auf einem Motorroller gesehen«, überlegte Tammy. Julian nickte. »Stimmt. Außer er ist mit seinem Vater zusammen gekommen, um zu helfen.«
    Wir schafften also die Leiche aus der Höhle. Und plötzlich, unter dem klaren Sternenhimmel, umgeben von würzig duftenden Büschen, oberhalb des Meeres, auf dem sich das Mondlicht spiegelte, und mit Blick auf die glitzernden Lichter von Les Colonnes, sickerte mir ins Bewusstsein, was wir getan hatten.
    Wie hatten wir das tun können?
    Ich blickte auf das Bein, das ich mit den Händen umklammerte, hörte Tammy neben mir atmen. Und setzte wie betäubt einen Fuß vor den anderen.
    Julian leitete uns zu der Stelle, die etwas unterhalb der Höhle lag. Wie absurd, das zu sagen, aber wir hatten Glück, dass der Vollmond schien, sonst hätten wir sie nicht entdeckt.
    Etwa einen Meter seitlich des Pfades brach der felsige Boden einfach ab und legte parallel zum Weg einen Riss von etwa fünf Metern Länge und einem halben Meter Breite frei. Büsche rankten sich an einigen Stellen darüber und bei Tageslicht würden wir sicher leere Plastikflaschen oder benutzte Taschentücher darin finden.
    »Am besten legen wir ihn direkt an die Kante und rollen ihn dann hinein, sodass er seitlich drin liegt«, wies uns Julian an. Er hatte irgendwann, so kam es mir vor, die Regie in diesem Horrorfilm übernommen.
    Ich war froh, als der tote Körper auf der Erde lag. Ich wollte ihn nicht mehr berühren.
    »Wir machen es zusammen«, entschied Julian und sah uns an. »Okay?«
    Wir wussten, dass dies so etwas wie ein kollektives Schuldeingeständnis war: Wir hatten gemeinsam Vincents Sohn getötet . Und so knieten wir uns also auf den Boden, um der Leiche gleichzeitig einen Schubs zu geben.
    »Fertig?«, fragte Julian.
    »Halt!«, sagte ich. »Sollten wir nicht noch was sagen, ich meine … er war … immerhin … ein …«
    »Mensch?« Das kam von Claas.
    Ich spürte, wie etwas heranrollte, eine schrecklich große Woge, die über mir zusammenzuschlagen drohte.
    Als niemand etwas einwendete,

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