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wenn es Zeit ist

wenn es Zeit ist

Titel: wenn es Zeit ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Tietgen
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Nachspiel«, zischte mein Vater, als er mich dort in Empfang nahm. »Komm du aus der Schule nach Hause.« Er drückte mir seine Pranke in den Nacken und zog mich weg von der Absperrung den Woermannsweg hinauf. Der Druck auf meiner Brust ließ wieder nach, aber der Kloß im Hals verschwand nicht. Jörg konnte doch so gut schwimmen.
     

Von der Normalität (1976)
     
    »So hast du also die Farben entdeckt?« Michi atmet laut aus. »Wieso hast du mir bisher noch nie davon erzählt?«
    Ich sitze immer noch auf der Lehne des Sessels, eine Hand auf ihrer Schulter. Ich bin immer überzeugt, sie weiß schon alles von mir.
    »Vielleicht hat es sich einfach nicht ergeben?«
    Das hätte es sicher. Seit wir befreundet sind, nervt sie mich damit, ich sei etwas Besonderes. Und es war eine schlechte Idee gewesen, ihr von den Farben zu erzählen, weil sie das in ihrer Annahme zu bestätigen schien. Dabei war ich damals nur wütend gewesen und hatte gehofft, sie sähe endlich, wie pervers ich bin, und ließe mich in Ruhe.
    » Welche Farbe hatte Martin?«
    »Kannst du den Tisch decken?«, fragt Mama mit einem kurzen Blick aus der Küche. Die Lehne des Sessels drückt, meine Hand ist auf Michis Schulter schon ganz warm geworden. Der Geruch von gebratenem Hackfleisch und Thymian hat sich schon seit einer Weile ausgebreitet und das Knurren in meinem Magen verstärkt.
    »Ja.« Ich springe auf, gehe in die Küche, um das Geschirr aus einem der Hängeschränke zu holen.
    Mama gießt gerade Makk aroni ab. Es ist schön, sie lächeln zu sehen. Und sie sieht gut aus in ihrem leichten Sommerkleid, die Haare zu einem Zopf gebunden. Michi folgt mir, bleibt aber im Weg stehen. Auch sie sieht gut aus in ihrem neuen Look. Obwohl wir uns gerade gestritten haben, wird mir fast leicht ums Herz wird, als ich mich, die Teller in der Hand, an ihr vorbei dränge.
     

Von der Gestaltung unseres Reichs des Friedens (1973)
     
    Wie hatte es hier ausgesehen, damals an unseren ersten Abenden ohne Papa? Alles war leer gewesen, unsere ersten Teller und Tassen hatten auf der Fensterbank gestanden. Im Flur, dort wo jetzt die beiden Sessel stehen, hatte Mama auf dem Boden gehockt und die Zeitungen nach Stellenangeboten durchforstet. Mit einem Stift hatte sie alle Anzeigen umkreist, bei denen sie nur anzurufen brauchte, um sich zu bewerben.
    In meinem Zimmer lagen die Schulsachen auf dem Boden und ich auf dem Bauch, während ich in den Büchern las und die Hausaufgaben erledigte.
    Und trotzdem nahm ich Michi stolz mit hierher, als sie mich, trotz Hitze auf die Kälte fluchend, vor der Schule erwartete, um mich abzuholen.
    Wie hätte sie meinen Stolz darauf verstehen sollen?
    Ich hatte noch keinen Schlüssel für diese Wohnung, musste klingeln. Meine Mutter riss fröhlich die Tür auf.
    »Hallo Sch …« Der Rest des Wortes zischte abgestorben ins Treppenhaus, der Mund meiner Mutter blieb offen stehen und für einen Moment war auch sie zu keiner Regung fähig.
    »Kommt rein!«, forderte sie uns nach einer Schrecksekunde auf. Michi kannte keine Scheu, stellte sich gleich vor, betrat den Flur, auf dessen Fußb oden die Seiten mit den Stellenanzeigen wie ein Teppich ausgebreitet lagen, und sah sich um.
    »Du bist in Henriks neuer Klasse?«, fragte Mama und sah sich um, als suchte sie einen Stuhl, den sie Michi anbieten könnte. Doch die nahm gleich auf dem Fußboden Platz und sagte: »Nein. Ich war in seiner Parallelklasse.«
    »Wir sind gestern erst eingezogen«, murmelte meine Mutter und hockte sich wieder über die Zeitungen.
    Ich ging in mein leeres Zimmer, legte den Ranzen auf den Fußboden und hoffte, Michi würde mir folgen. Sie blieb bei meiner Mutter sitzen, sah ihr zu, als sie versuchte, die eingekreisten Anzeigen ordentlich aus dem Papier zu reißen, ohne die Telefonnummern dabei zu zerstören. Also ging ich zurück.
    »Wie ist die neue Schule?«
    »Okay. Schon deshalb, weil mich niemand kennt.«
    »Und die Lehrer?«
    »Scheinen in Ordnung zu sein.«
    »Und kommst du mit dem Stoff zurecht?« Jedes Stück Zeitungspapier, das sie ausriss, wurde von meiner Mama ordentlich zusammengefaltet, bevor sie es neben sich ablegte.
    »Ja.« Lauter neue Dinge hatte ich heute gelernt. Nur weniges kam mir aus der alten Schule bekannt vor. Aber ich konnte folgen, kam mir nicht blöd vor. In den ersten Tagen erwartete niemand, dass ich mich meldete.
    Michi sagte nichts, aber hörte zu und sah auf die kahlen Wände.
    »Suchen Sie Arbeit?«, fragte sie mitten in eine meiner

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