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wenn es Zeit ist

wenn es Zeit ist

Titel: wenn es Zeit ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Tietgen
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Woermannsweg an der Alster entlang, hungrig und müde. Es hatte mal wieder Streit gegeben.
     
    Mein Vater hatte geschrien: »Was ist das für ein Dreck hier? Nicht einmal mehr Kaffee gibt es zum Frühstück, verdammte Schlampe.«
    Meine Mutter hatte versucht, Wasser aus dem Hahn zu bekommen. Eisig war der Wind durch die offene Tür gezogen.
    »Bewegst du mal deinen Arsch aus dem Bett und drehst im Keller den Haupthahn wieder auf, Henrik«, hatte mein Vater mich angeschnauzt.
    Bett. - Das, worauf ich schlief, war eine billige rote Luftmatratze aus Plastik, eine, die man im Sommer mit auf den Badesee nimmt. Jeden Abend musste ich sie aufpusten, jeden Morgen die Luft wieder rauslassen, damit wir genügend Platz in der Laube hatten.
    »Hey, du Rotzlöffel, kannst du nicht hören?«
    Wenn Vater brüllte, gab es kein langsames Erwachen. Feldherrisch erwartete er, dass wir sprangen, Mama und ich. Die kalte Luft von draußen biss in meinen Körper, meine Zähne klapperten und die Wolle des Pullis kratzte eisig.
    Der Nachtfrost hatte ein dünnes Tuch Raureif über den Rasen gelegt. Die Pflanzen standen steif in harter Erde und an der unteren Hälfte der Fensterscheibe wuchsen zart erste Eisblumen. Bibbernd ging ich durch die Dunkelheit den Schlauch entlang zum Keller. Die Schreie des Vaters verhallten in der Luft, als ich mich entfernte. Ich musste vorsichtig auftreten, um nicht auszurutschen. Die Tür zum Wohnhaus hatte sich vom Frost verzogen und klemmte.
    Das Licht im Keller war matt, es roch feucht und schimmlig. Ich hielt den Schlauch in der Hand, tastete mich daran vorwärts, bis ich an dessen Ende war.
    Wie herum drehte man den Wasserhahn denn jetzt auf, wie drehte man ihn zu? Papa hatte gesagt, ich solle ihn aufdrehen, also drehte ich in die Richtung, in die der Knauf sich bewegen ließ, kehrte dem muffigen Keller den Rücken, verschloss die Tür und ging zitternd zurück. Die Stimme des Vaters wurde wieder lauter.
    Mama hatte eine Strickjacke übergezogen. Das Haar hing ihr über das Gesicht und die nackten Beine, die unter dem dünnen Nachthemd zu sehen waren, glänzten im Mondlicht. So hockte sie auf den kalten Steinfliesen vor der Hütte, als ich zurückkam.
    »Du solltest doch den Haupthahn aufdrehen!«, herrschte mein Vater mich an. Er stand an dem Wasserhahn, der über einer Regentonne am Schlauch angeschlossen war. Doch es tat sich nichts. »Wenn man nicht alles selbst macht.« Brummend stapfte er davon, den Weg, den ich gerade gegangen war.
    Wie jeden Morgen leerte ich die Matratzen, legte sie zusammen und verstaute sie in der Bank. Als Vater zurückkam, hatte ich die Propangasflasche aufgedreht und die daran angeschlossene Heizung angestellt. Mama war aufgestanden und hatte den Tisch von draußen in die Hütte getragen und Geschirr aus dem Schrank geholt.
    »Was solltest du tun, Henrik?«, brüllte Papa schon von Weitem. Er keuchte etwas vom Laufen. Sein Atem stand wie das Feuer eines Drachens in der Luft. Eine Antwort wartete er nicht ab. »Du hast das Wasser abgestellt, du Hornochse.« Wieder rüttelte er am Hahn, drehte ihn auf und zu, schlug wie besessen darauf herum. Aber es passierte nichts. In die Hütte kommend, sah er die Tassen, die Teller und die Messer, die Lebensmittel, die Mama auf den Tisch gedeckt hatte und explodierte.
    »Wollt ihr mich verarschen?«, schrie er, schnappte sich eine der Tassen und schleuderte sie gegen den Schrank. Mama und ich wagten nicht, uns zu setzen oder der Tasse hinterher zu sehen. Wir wagten nicht, uns zu bewegen. Stumm starrten wir ihn an, warteten darauf, wen er sich schnappen würde, sie oder mich. Doch er schnappte sich niemanden. Er hob den Tisch an einem Ende an, rüttelte daran, sah zu, wie Geschirr und Lebensmittel auf den Boden der Hütte fielen, wartete, bis alles unten gelandet war. Dann schrie er nicht mehr, sondern sagte ganz ruhig: »Kein Kaffee, kein Frühstück. Macht euch fertig. Wir müssen los.«
     
    Das kalte Wetter, der Streit am Morgen, das ewige Gelatsche zum Schwimmbad, während andere noch schliefen. Es gab genügend Gründe dafür, zu flennen, als wir an der Ohlsdorfer Schleuse vorbeikamen. Das Leben war beschissen. Die Welt war beschissen, mein Vater, meine sich nie wehrende Mutter, dieser verdammte Garten und noch mehr diese miese enge kleine Hütte. Alles war beschissen.
    Und doch hatte ich bisher nie geheult.
    An der Schleuse legte sich ein Druck auf meine Brust, wie nach einem Albtraum. Ich schluckte, würgte, biss mir auf die Lippen,

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