wenn es Zeit ist
neugierig?«
»Nein.« Ich ging auf sie zu, nahm ihr die kleine Holzkiste ab und stopfte sie demonstrativ vor ihren Augen in meinen Schulranzen. »Es ist ein Geschenk meiner Oma und ich will es nicht öffnen. Sie hat gesagt, ich soll es erst tun, wenn es so weit ist.«
Von fehlender Puste und einem geheimnisvollen Erbe (1967)
Kurz bevor sie starb, klagte Oma über Schmerzen in der Schulter. Papa war bei der Arbeit, wie jeden Tag. Meine Mama kaufte gerade ein. Oma hatte sie darum gebeten, weil sie sich so schlapp fühlte.
Sie hatte sich hingelegt, ich setzte mich zu ihr auf das Bett, hielt ihre Hand und hielt es für selbstverständlich, sie zu fragen: »Oma, soll ich mal pusten?« Ich sehe sie noch lächeln.
»Ja«, sagte sie, richtete sich dabei auf und holte ein kleine s hölzernes Kästchen aus der Schublade ihres Nachtschranks. »Aber erst möchte ich dir das hier geben. Bewahr es gut auf und öffne es, wenn du so weit bist.«
Ich verstand kein Wort. Meine Oma hielt noch immer das Kästchen in der Hand und ich hatte Angst, es entgegen zu nehmen.
»Was heißt das? ›Wenn du so weit bist‹?«, fragte ich und sah sie dabei an, als könnte ich die Antwort in ihren Augen lesen.
»Das wirst du spüren.« Sie legte sich wieder zurück in ihr Bett und drückte mir d as Kästchen so in die Hand, dass ich keine andere Chance hatte, als es zu nehmen. »Aber du musst mir versprechen, es allein zu öffnen und nicht aus reiner Neugier. Das Kästchen birgt ein Geheimnis, das nur dann seine Kraft entfaltet, wenn du dich daran hältst.«
Ich verstand immer noch nichts, aber ich nickte und brachte das Kästchen gleich in mein Zimmer, wo ich es in der Kiste mit meinen Plasticantteilchen versteckte. Das waren gerade und gebogene blaue Plastikrohre, die man mit Hilfe von gelben Stiften ineinander stecken und mit gelben Plastikplatten verkleiden konnte, um daraus Türme, Häuser, Schiffe oder Autos zu bilden. Ich wühlte ein bisschen, um das Geheimnis gut zu verstecken. Lange habe ich bestimmt nicht gebraucht, aber als ich zurückkam und die Oma fragte, ob sie mir nicht doch verraten könnte, wann ich so weit wäre oder woran ich es spüren würde, hat sie nicht mehr gesprochen. Ich stieß gegen ihren Arm. »Oma!«, rief ich. »Oma, schläfst du?«
Ich erhielt keine Antwort . Aber sie hatte ja gesagt, ich sollte pusten, also nahm ich ihren Arm, der schlaff auf der Matratze lag, in beide Hände und pustete, bis Mama kam.
»Was machst du da?«, fragte sie, zog sich den Mantel aus, stellte die Einkaufstaschen in die Küche und kam, um nach mir zu sehen.
»Oma schläft«, antwortete ich. »Sie hatte Schmerzen und ich habe ihr versprochen, zu pusten.«
Meine Mama kam zu mir, schaute der Oma ins Gesicht, hielt eine Hand über ihren Mund. Dann nahm sie mir den Arm, den ich noch immer hielt, aus den Händen und drückte mit Zeige- und Ringfinger auf das Gelenk.
»Geh in dein Zimmer!«, schrie sie auf einmal. »Geh sofort auf dein Zimmer!«
»Aber ich habe doch nur gepustet. Das macht die Oma bei mir auch, wenn mir etwas weh tut.«
»Kannst du nicht hören?«
Schnell trollte ich mich in mein Zimmer, hockte mich vor die Plasticantkiste und überlegte, ob ich das kleine Kästchen öffnen sollte. Aber ich war viel zu verwirrt, um es zu tun.
Mama klingelte bei unseren Nachbarn, ich hörte aufgeregte Stimmen und Schritte. Die Tür zum Treppenhaus musste offen geblieben sein. Es kamen immer mehr Menschen in unsere Wohnung, aber ich sollte ja in meinem Zimmer bleiben. Da Mama mich so angeschrien hatte, traute ich mich auch nicht heraus. Ich blieb, bis es keine Stimmen und keine Schritte mehr gab, lauschte der plötzlichen Stille und dachte nicht daran, etwas zu spielen, zu bauen oder zu malen. Wie betäubt saß ich vor meinen Bausteinen und tat gar nichts.
Irgendwann, als die Stille mich längst umschlossen hatte, kam Mama zu mir ins Zimmer.
»Bist du mir noch böse, mein Schatz?«
Ich sah auf, als wäre sie ein UFO. Sie hatte Tränen in den Augen. Wie konnte ich ihr da noch böse sein? Ich biss mir auf die Lippen und schüttelte den Kopf.
»Verzeih, dass ich dich so angeschrien habe. Ich meinte es nicht so.«
Ich hatte das Gefühl, etwas sagen zu müssen, aber es fiel mir nichts ein, so sehr ich auch nachdachte.
»Komm mal her!«, forderte Mama mich auf. Wenn sie das tat, musste ich gehorchen, musste zu ihr laufen und mich umarmen lassen , damit sie wusste, wie sehr ich sie liebte.
»Ich habe doch wirklich nur
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