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wenn es Zeit ist

wenn es Zeit ist

Titel: wenn es Zeit ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Tietgen
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verliebt in dich ist oder - wenn du es in ihn bist – ob er mit dir gehen will.« Bei den letzten Worten höre ich sie breit grinsen.
    »Ja« , sage ich, obwohl ich weiß, ich werde es nicht tun. Schon, weil ich keine Lust habe, eventuell seine Mutter nach ihm zu fragen. »Ich habe heute Nacht blödsinniges Zeug geträumt.«
    Wie ein Blitz taucht das Bild meines Vaters in mir auf, der auf Jörg losgeht. ›Habe ich dich nicht schon entsorgt? Habe ich dir nicht schon gezeigt, was meinem Sohn blüht, wenn er sich in Kerle vergafft?‹
    »Wechsle nur schnell das Thema«, sagt Michi lachend. »Ist es dir unangenehm?«
    »Was macht denn Harald?«
    Ich werde unruhig, stehe auf, stelle das Telefon an seinen Platz, trete mit den Beinen auf der Stelle. Auf einmal habe ich das Gefühl, auflegen zu müssen. Dabei habe ich gar nichts vor, erwarte keinen Anruf, erst recht nicht von Jan, oder?
    »Der kommt heute Nachmittag zu mir. Wir können uns also wieder nicht sehen. Aber morgen nach der Arbeit besuche ich dich. Dann quetsche ich dich über Jan aus.« Sie lacht immer noch gut gelaunt.
    Ich sehe Jörg nackt, verletzt, aufgequollen und tot auf dem Steg der Schleuse liegen.
    Ich lehne mich leicht gegen das Bord, auf dem das Telefon steht, sitze und stehe halb, wippe mit dem Hintern, bis ich merke, dass ich dadurch die Kommode rhythmisch gegen die Wand von Mamas Zimmer stoße.
    »Wi r können ja mal zu viert weggehen«, schlägt Michi vor. »Du, Harald, Jan und ich.«
    ›Das hat ein Nachspiel‹, zischt Papa , als er mich an der Absperrung entgegennimmt, und grinst dabei zufrieden.
    Immer, wenn Michi Jan erwähnt, drängen sich diese Bilder in meinen Kopf. Dabei habe ich sie doch angerufen, um ihr von ihm zu erzählen.
    »Von mir aus.«
    »Begeistert scheinst du von der Idee nicht zu sein.«
    »Mama wird wach«, sage ich. »Ich muss Schluss machen. Wir sehen uns morgen.«
    »Ja, bis morgen. Grüß Jan von mir.«
    Papa auf der Ratsmühlenbrücke. Ein blaues Bündel plumpst von seinen Schultern und klatscht auf das Wasser.
     
    Ein idiotischer Geist in meinem Kopf flüstert: ›Du musst dem nachgehen.‹ Stimmen rufen durcheinander. Ich werde verrückt. Nein, ich bin verrückt, schon lange. Ich wollte es nur nicht wahrhaben. Ich sehe Farben, höre Stimmen, bin pervers und am liebsten alleine. Ich schlage wild um mich, breche anderen die Knochen, und nur weil ich träume, traue ich meinem Vater den Mord an meinem Freund zu. Und ich sehe mich als von irgendeinem Gott ausgewähltes Gefäß mit der Gabe, durch seinen Atem sogar Knochenbrüche zu heilen. Omas abstruse Theorie brodelt wie Wahrheit in mir. Alles ist Gottes Fügung, auch das Böse. Alles folgt seinem Plan. Halten sich nicht die meisten Verrückten für Propheten, für Gesandte Gottes, für Verkünder der Wahrheit oder sogar für Jesus? Werden nicht sogar Menschen umgebracht mit der Begründung, Gott habe es befohlen?
    ›Es kann nicht sein.‹
    ›Finde es heraus.‹
    ›Er hat ihn doch nur im Schwimmbad gesehen.‹
    ›Woher weißt du das? Hat er nicht auch sein Geld verspielt, während du dachtest, er arbeitet?‹
    ›Warum sollte er das getan haben?‹
    ›Es liegt alles in Gottes Plan.‹
    Ich werde verrückt, ich bin verrückt, ich war schon immer verrückt … Ein Stich dringt aus dem Genick in den Kopf und schüttelt ihn durch, wie ein Rosettenmeerschweinchen, dem man zart die Fellspitzen streichelt. Ich spüre das Gehirn schmerzhaft in meinem Schädel schwappen, wie Wasser im Glas, wenn man stolpert.
    ›Wenn du es wissen willst, rufe den Journalisten an. Dazu hat Gott dir seine Visitenkarte gegeben.‹
    Noch ein Stich. Wieder dieses Schütteln eines Bekloppten. So bescheuert es ist, ich hole die Karte aus meinem Portemonnaie. Noch höre ich keine Geräusche aus dem Zimmer meiner Mutter. Von diesem Telefonat muss sie wirklich nichts wissen.
    Es ist merkwürdig, wie ruhig ich agiere. In mir spuken gute und böse Geister, helle und dunkle Seiten, panischer Verdacht, Angst, eingewiesen zu werden, nie mehr einen klaren Gedanken fassen zu können und gleichzeitig kann ich meine Geldbörse öffnen, eine Visitenkarte entnehmen, sie lesen, ohne Fehler die Nummer wählen und etwas sagen.
    »Entschuldigen Sie die frühe Störung, aber Sie hatten mir mal gesagt, ich könnte jederzeit anrufen, wenn ich Hilfe bräuchte.«
     

Von der Suche nach Vernunft (1976)
     
    Am Montag warte ich vor der Schule vergeblich auf Jan. Erst in der letzten Minute gehe ich in den Klassenraum,

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