wenn es Zeit ist
mit Blicken und vorsichtigen Gesten, Jan und Dirk zu fragen, ob sie noch Hunger haben. Jan schüttelt den Kopf, sein Bruder versteht mich sofort und reicht mir wortlos und unter missbilligendem Kopfschütteln seiner Mutter seinen Teller. Bin ich der Einzige, der aufatmet, als das Essen endlich vorbei ist und wir aufstehen dürfen?
Von der Schönheit im Schmutz (1976)
Wenn man durch die geleckte Teakholzordnung in Jans Zimmer geht, kommt man in ein anderes Reich. Hier ist es unordentlich und weiß. Die Schränke, die Raufasertapete, der Schreibtisch, das Bett, alles ist weiß. Nur die Poster vom HSV an der Wand und die blauschwarz-karierte Bettdecke bringen Farbe in das Zimmer.
Jan hängt den Bademantel an einen Haken an seiner Zimmertür und l egt sich wieder ins Bett. Sein blondes Haar ist so wirr, dass die leichten Geheimratsecken sichtbarer sind. Die braunen Augen sind matt. Er trägt einen blauschwarz-gestreiften Pyjama, dessen Hemdknöpfe geöffnet sind. Die Bettdecke zieht er nur bis zu seinem Bauch.
Er schwitzt und w ie bei Jörg ist der Schweiß als orangefarbene Punkte sichtbar, die das im Moment stumpfe, dunkle Blau um ihn herum durchbrechen.
» Was haben wir an Hausaufgaben bekommen?«, fragt er endlich.
Ohne zu fragen, setze ich mich zu ihm aufs Bett, berühre ihn leicht an der Schulter, als würde ich ihm die Hand zur Begrüßung reichen. »Du warst meinetwegen nicht in der Schule.«
Er nickt. Ich streichle nur mit dem Zeigefinger ganz leicht über seine Brust. Ich kann die Rippen zählen, so dünn ist er. Wenn jetzt jemand einfach ins Zimmer kommt, kann ich ihn sofort loslassen. Von Jan kommt keine Regung. Nur die Augen werden etwas glänzender, die orangefarbenen Punkte vermehren sich und an der Stelle um meine Hand bildet sich ein violetter Strudel.
»Ich wusste nicht, wie ich dir je wieder begegnen sollte. Es ist einfach über mich gekommen. Plötzlich war da nur noch der Wunsch, dich zu küssen. Und als du gegangen warst, habe ich mich entsetzlich geschämt.«
Er fühlt sich warm an. Eine Wärme, die sich durch meinen Zeigefinger im ganzen Körper ausbreitet, sich über den Bauch , den Kopf und das Herz verteilt und in meinen Penis strömt. Zum Glück kann Jan das nicht sehen.
›Was machst du da? Bist du wahnsinnig? Willst du ihn umbringen? Wie pervers bist du eigentlich? Er liegt krank im Bett und du nutzt es aus?‹
» Ach, es war ein Kuss auf die Wange. Einer, wie man ihn auch seinen Eltern zum Abschied gibt. Warum nicht guten Freunden?«
Ich möchte ihm die Stirn küssen, nur kurz, so wie er es mit meiner Wange gemacht hätte. Vielleicht beruhigt es ihn ja? Meinen Finger auf seiner Brust scheint er schön zu finden. Jedenfalls lässt er ihn zu.
»Nein«, sagt er. »Ich habe mich geschämt, weil ich dich gern viel länger geküsst hätte. Du bist ein Junge. Und das, was ich für dich fühle, empfindet man für keinen Jungen. Es ist Sünde.«
Scheiße. Ich könnte ihm doch einfach um den Hals fallen, ihn in den Arm nehmen und ihm den Kuss seines Lebens geben. Ich könnte ihm sagen, ich empfinde das Gleiche, stattdessen berühre ich ihn wie einen kleinen Jungen, den ich tröste. ›Starr den Jungen nicht so an. Bist du etwa pervers? Soll er so enden wie Jörg? Wenn du nicht von ihm lassen kannst, werde ich ihn töten.‹
»Weißt du, wie neidisch ich war, als du meinen Bruder geheilt hast? Ich hätte mir gewünscht, ich hätte sein Asthma, nur damit du mich einmal so küsst. Ist das nicht widerlich?«
»Ich habe ihn nicht geküsst, nur beatmet.« Ganz ruhig stehe ich auf. Es wäre doch so einfach. Aber damit bringe ich ihn um. Er tut mir leid. Seine Offenbarung ist die Erfüllung meiner Träume, nichts sehne ich mehr herbei als seine Liebe, seine Seele, seine Küsse und seine Haut.
»Jetzt verachtest du mich.«
»Nein.« Ich gehe zum Fenster, schaue auf den Verkehr am Rübenkamp, auf das Kindertagesheim gegenüber, in dem die Welt in Ordnung zu sein scheint. Er klappt die Bettdecke auf, der Stoff seiner Schlafanzughose ist deutlich sichtbar angehoben, aber das reicht ihm nicht. Er muss sich mehr entblößen, zerrt den Saum über seinen Penis.
»Siehst du, wie abartig ich bin? Manchmal vor dem Einschlafen stelle ich mir vor, du pustest mit der Kraft deines Atems darüber, um mich von dieser sündigen Veranlagung zu heilen. Und dann spüre ich den warmen Hauch aus deinem Mund und hole mir dazu einen runter. Verachtest du mich jetzt endlich?«
Erbärmlich v erlockend liegt
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