Wenn Frauen kochen
bekannten Boygroup. Anfang 2002 hatte dieser Schnulzensänger allerdings eine neue Begleiterin, aber Carmen noch keine weitere Rolle an Land gezogen. Nicht einmal der Unfall mit Blechschaden, in den sie in Beverly Hills verwickelt wurde, konnte damals noch die Paparazzi hinter dem Ofen hervorlocken. Ihre fünfzehn Minuten Ruhm waren aufgebraucht: Miss Spanien war zu Miss Unwichtig geworden.
Deshalb hatte sich Carmen, gelangweilt, frustriert und mehr als nur ein bisschen panisch in ihrem gemieteten Gästehaus verkrochen. Sie wollte sich ihren nächsten Schritt überlegen. Sie schlief bis mittags, hatte keine Pläne für den Nachmittag und fing stattdessen an, sämtliche Gerichte zu kochen, die sie an zu Hause erinnerten: Paella, Gazpacho, frittierten Fisch. Abends lag sie auf dem Sofa und trank ein Glas Wein nach dem anderen, matt vom üppigen Essen und überwältigt von Selbstmitleid. Als Hintergrundgeräusch lief der CookingChannel. So manches Mal fiel sie eingelullt von Gus Simpsons Stimme, die im Fernsehen Partys plante, in einen unruhigen Schlaf.
Eines Tages, als sie leicht verkatert Gemüse schnitt, fügten sich die Einzelteile zu einer Idee zusammen: Carmen wollte vor der Kamera Karriere machen, und sie kochte gern.
Am nächsten Tag wachte sie zum ersten Mal seit Monaten vormittags auf und rief mit ihrem Handy Kochschulen im ganzen Land an, um sich nach den Zulassungsvoraussetzungen zu erkundigen. Carmen Vega würde sich ihren Weg zum Ruhm erkochen.
Vier Jahre später hatte sie ein festes Einkommen als Werbebotschafterin für den Hauptimporteur schwarzer spanischer Oliven. Und mit ihrer zehnminütigen Internetshow GeschmacksBoom wuchs ihre Fangemeinde. Carmen war auf dem Weg vom Kulttipp zum Mainstream Star.
Obwohl man ehrlicherweise anmerken musste, dass sich viele ihrer Fans eher für ihre Lieblingslipglossmarke interessierten als für ihre schmackhaften Rezepte. Und, für einen Internetstar typisch, umschwirrten sie nicht nur glühende Anhänger, sondern auch eine Schar hingebungsvoller Carmen-Hasser. Von Zeit zu Zeit vergewisserte sie sich, wie viele Leute die Website eines anonymen Bloggers mit dem Titel CarmenVeaSucks.com aufgerufen hatten, auf der GeschmacksBoom regelmäßig verrissen wurde. Sie sagte sich, dass es ihr egal sei, und dennoch rief sie nach jedem Update ihre Mutter an, unfähig ihren Ärger auf Englisch so prägnant auszudrücken wie auf Spanisch.
Aus einem Reflex heraus griff Carmen nach dem Telefon - ohne den Bildschirm mit Gus Simpson aus den Augen zu lassen - und wählte die vertraute Nummer.
»¿Mamá? Tengo otro dá malo …«
Matschig gekochter Instantreis, trockene Schweinskoteletts und welker Eisbergsalat. Das war stets Gus’ Antwort, wenn sie gefragt wurde, wie sie zum Kochen kam. Sie nannte damit das Standardgericht ihrer Mutter, das es jede Woche mehr als einmal gab. Manchmal mit Apfelmus aus dem Glas, manchmal ganz ohne Würze.
Ihre Mutter und ihr Vater saßen einander gegenüber, Gus dazwischen. Wortlos wurden Salz und Pfeffer gereicht. Keiner redete, während sie kauten, langsam und mühsam jeden Bissen runterschluckten.
»Glauben Sie es ja nicht, wenn Ihnen jemand erzählt, dass es in den Fünfzigern und Sechzigern nur perfekte Hausfrauen à la Suzy Homemaker gab.« Gus wiederholte gegenüber Al Roker, was sie schon unzählige Male zuvor gesagt hatte: »Genauso wie heute konnten viele Leute damals nicht einmal Wasser kochen und hatten keinen Schimmer, wie man eine anständige Mahlzeit zubereitet. Mein Mutter war eine davon.«
Und dann begann Gus die gekürzte, aber eingeübte Anekdote zu erzählen, wie sie sich erst Kochbücher aus der Bücherei auslieh, und dann ihr Taschengeld sparte, um sich eine eigene Ausgabe von Julia Childs Mastering the Art of French Cooking zu kaufen. Und wie sie ihre Samstag- und Sonntagnachmittage mit Kochexperimenten verbrachte und die Nachbarskinder zwang, ihre Kreationen zu essen.
»Ich wollte einfach nur etwas essen, das gut schmeckt!«, schloss sie lachend.
»Dieser Brunch ist jedenfalls köstlich«, versicherte Ann Curry. »Herzlichen Dank an Gus Simpson, Moderatorin von Kochen mit Gusto! , für die tollen Rezepte! Wir sehen uns alle morgen wieder!«
»Und aus«, rief eine Stimme hinter den Kulissen. Einer der Producer kam aufs Set marschiert.
»Danke, dass Sie in letzter Sekunde eingesprungen sind, Gus«, sagte er. »Carmen Vegas Windpocken haben uns ganz schön in Bedrängnis gebracht. Sie haben uns das
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